Rz. 74
Ein Erbverzicht ist z.B. nach dem Recht Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, der Türkei, der Tschechischen Republik und einiger skandinavischer Länder sowie Polens und Ungarns möglich. Aber auch viele angloamerikanische Rechtsordnungen, wie die Staaten der USA, Irland und Schottland, lassen einen Verzicht auf erbrechtliche Rechtspositionen zu. Einige Balkanstaaten kennen eine verbindliche "Ausschlagung der Erbfolge zu Lebzeiten des Erblassers" durch Abkömmlinge an. Praktisch ist damit nichts anderes als ein Erbverzicht erreicht. Viele andere Staaten hingegen kennen den Verzicht zu Lebzeiten des Erblassers nicht an. In letzter Zeit zeigen sich allerdings Aufweichungstendenzen. So wird im italienischen patto di famiglia der Pflichtteilsanspruch der dem Unternehmensnachfolger weichenden, am Vertrag beteiligten Angehörigen auf den dort vereinbarten Betrag beschränkt. In Frankreich hat die mit dem Erblasser vereinbarte Ausschlagung der Erbfolge zu dessen Lebzeiten die Funktion eines lebzeitigen Verzichts auf diese Rechte. Auch das belgische neuere Recht lässt lebzeitige Vereinbarungen zum Verzicht auf Pflichtteilsrechte zu.
Rz. 75
Da der Erbverzicht Verfügung über Rechte aus der Erbfolge nach dem Verzichtsempfänger ist, mithin eine Vereinbarung darstellt, "die mit oder ohne Gegenleistung Rechte am künftigen Nachlass oder künftigen Nachlässen einer oder mehrerer an dieser Vereinbarung beteiligter Personen entzieht", wird er als Erbvertrag i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO qualifiziert. Maßgeblich ist gem. Art. 25 Abs. 1 EuErbVO also ausschließlich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages (vgl. Rdn 31 ff.). Auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Verzichtenden und seine Staatsangehörigkeit hingegen kommt es nicht an.
Rz. 76
Bei wechselseitigen Verzichtserklärungen in einem einheitlichen Vertrag ist die Wirksamkeit wohl nicht – wie zuvor im deutschen Recht unter Art. 25 EGBGB – hinsichtlich jeder Verzichtsvereinbarung separat nach dem für sie maßgeblichen Recht zu beurteilen. Wie beim wechselseitigen Erbvertrag sind hier vielmehr gem. Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuErbVO die Errichtungsstatute hinsichtlich der Zulässigkeit und der materiellen Wirksamkeit kumulativ anzuwenden. Ist eine der Verzichtsvereinbarungen – bspw. der Verzicht durch den deutschen Ehemann gegenüber seiner spanischen Ehefrau – nach dem für sie maßgeblichen Recht unwirksam, so gilt dies dann auch für sämtliche anderen im Vertrag enthaltenen Verzichtserklärungen.
Praxishinweis:
Vermeiden lässt sich dies durch eine Rechtswahl gem. Art. 25 Abs. 3 EuErbVO. Da Verzichtsvereinbarungen unter den Begriff des Erbvertrages i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO fallen, ergeben sich auch die Rechtswahlmöglichkeiten des Art. 25 Abs. 3 EuErbVO. Es können dann Zulässigkeit und materielle Wirksamkeit hinsichtlich sämtlicher Verzichtserklärungen dem Heimatrecht eines einzigen der am Vertrag beteiligten Erblasser unterstellt werden, sodass im Ergebnis dann auch die Voraussetzungen nur einer Rechtsordnungen eingehalten werden müssen, damit der Vertrag wirksam ist.