Rz. 68
Die Bindungswirkung betrifft zum einen den Ausschluss des Widerrufs durch den überlebenden Ehegatten – wie ihn z.B. das deutsche und das litauische Recht kennen. Eine abgeschwächte Form der Bindungswirkung ergibt sich bei der Erschwerung des Widerrufs durch Form- und Mitteilungserfordernisse etc., wie sie nicht nur im deutschen Recht, sondern z.B. auch im dänischen und norwegischen Recht vorkommen. Maßgeblich ist insoweit – da es um die Möglichkeit des Widerrufs geht, gem. Art. 24 Abs. 3 EuErbVO m.E. das Errichtungsstatut der jeweiligen Verfügung (siehe Rdn 10). Unterliegen die Verfügungen der Testierenden unterschiedlichen Rechten, kann sich hieraus ergeben, dass die Testierenden in unterschiedlichem Ausmaß gebunden sind oder nur einer von ihnen einer Bindung unterliegt, der andere aber frei widerrufen kann. So könnte im deutsch-österreichischen Beispielsfall (siehe Rdn 67) der österreichische Ehemann jederzeit widerrufen, zu Lebzeiten seines deutschen Ehegatten sogar heimlich, die deutsche Ehefrau hingegen wäre gem. Art. 2271 BGB gebunden.
Rz. 69
Qualifiziert man das gemeinschaftliche Testament als Erbvertrag i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO (siehe Rdn 51), so ergibt sich die Bindungswirkung aus dem Errichtungsstatut und bei unterschiedlichen Errichtungsstatuten gem. Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2 EuErbVO aus demjenigen der Errichtungsstatute, zu dem das gemeinschaftliche Testament die engsten Verbindungen hat. Es wäre dann also eine Entscheidung zugunsten eines einzigen der beiden betroffenen Rechte zu treffen. Vorrangig freilich wäre in diesem Fall eine Rechtswahl der Testierenden zu beachten, Art. 25 Abs. 3 EuErbVO. Dabei ist zu beachten, dass ausschließlich ein Recht der Staaten gewählt werden kann, dem einer der Eheleute angehört. Handelt es sich bei den Eheleuten um in Deutschland lebende Kroaten, wäre dies problematisch, weil das kroatische Recht das gemeinschaftliche Testament nicht regelt und keiner der beiden einem Staat angehört, der das gemeinschaftliche Testament anerkennt. Hier führt dann ausschließlich die objektive Anknüpfung über Art. 24 Abs. 1 bzw. Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO zur Geltung deutschen Rechts und damit zur Beurteilung von Wirksamkeit und Bindungswirkung nach dem deutschen Recht.
Rz. 70
Bei Anwendung von Art. 24 EuErbVO könnte man eine einseitige Bindung vermeiden, indem man für die Ermittlung einer Bindungswirkung die Errichtungsstatute kumulativ anwendet. Kommt es zu abweichenden Ergebnissen bezüglich der Bindungswirkung, setzte sich das Recht mit der schwächeren Bindungswirkung durch. Nach anderer Auffassung bleibt es bei der gesonderten Behandlung jeder Verfügung nach dem für diese geltenden Errichtungsstatut (distributive Anknüpfung; siehe Rdn 39). Dem jeweiligen Errichtungsstatut wäre dann allerdings auch zu entnehmen, welche Folgen sich aus der schwächeren bzw. fehlenden Bindungswirkung hinsichtlich der korrespektiven Verfügung ergeben. Hier wird also versucht, das Problem der unterschiedlichen Bindung durch eine Angleichung auf der Ebene des materiellen Rechts zu lösen. Das hat den Vorteil der größeren Flexibilität für sich. So könnte den §§ 2270 f. BGB z.B. in diesem Zusammenhang entnommen werden, dass die (deutschem Errichtungsstatut unterliegende) Verfügung keine weiterreichende Bindungswirkung entfaltet als die mit ihr korrespektive, einem ausländischen Errichtungsstatut unterliegende Verfügung. Schließlich käme in Betracht, in entsprechender Anwendung von Art. 25 Abs. 1 UAbs. 2 EuErbVO sich für eine einzige Rechtsordnung zu entscheiden und diejenige der beiden Rechtsordnungen anzuwenden, zu dem das gemeinschaftliche Testament "die engste Verbindung" hat. Das würde vermeiden, dass immer nur "nach unten" angeglichen wird, sich also stets das Recht mit der schwächeren Bindungswirkung durchsetzt.