I. Abgrenzungsproblematik
Rz. 6
Das Verbot des § 311b Abs. 4 BGB einerseits und die Gestattung des § 311b Abs. 5 BGB andererseits werfen zahleiche schwierige Abgrenzungsfragen auf und sorgen damit für erhebliche Rechtsunsicherheit für die Parteien eines Vertrages, der sich im Geltungsbereich der Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem noch lebenden Dritten bewegt.
II. Die Konkretisierung der Verbotsnorm
Rz. 7
Das Verbot des § 311b Abs. 4 BGB richtet sich gegen Verträge "über den Nachlass eines noch lebenden Dritten" (S. 1) oder "über den Pflichtteil oder ein Vermächtnis aus dem Nachlass eines noch lebenden Dritten" (S. 2).
Demgegenüber formuliert § 311b Abs. 5 S. 1 BGB: "Absatz 4 gilt nicht für einen Vertrag, der unter künftigen gesetzlichen Erben über den gesetzlichen Erbteil oder den Pflichtteil eines von ihnen geschlossen wird."
Der erste offenkundige Unterschied: Der erlaubte Erbschaftsvertrag des § 311b Abs. 5 BGB umfasst nicht Vermächtnisse (so auch die Rspr.).
Rz. 8
Grundvoraussetzung ist damit, dass der Vertrag eine künftige erbrechtliche Position nach einem noch lebenden Dritten betrifft. Dies ist bei S. 2 des § 311b Abs. 4 BGB offensichtlich: Erfasst sind Verträge über die künftige Position als Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer. Aber auch S. 1 des § 311b Abs. 4 BGB gilt bei näherer Betrachtung nur für Verträge über das künftige gesetzliche oder gewillkürte Erbrecht am Nachlass. Denn Verträge über den Nachlass eines noch lebenden Dritten (also über einen Nachlass, der als solcher noch gar nicht existiert) können sich nur auf ein künftiges Erbrecht an diesem Nachlass beziehen. Das Erbschaftsvertragsverbot ist nicht nur auf Verträge anwendbar, die auf die Übertragung der ganzen oder teilweisen künftigen erbrechtlichen Positionen gerichtet sind, sondern allgemein auf Verträge, die die künftige Position als Erbe, Pflichtteilsberechtigter oder Vermächtnisnehmer betreffen. Der Vertrag muss eine Modifikation der erbrechtlichen Position oder ihrer Inhaberschaft bezwecken. Die Testfrage lautet: Verpflichten sich die Parteien zu etwas, das – gedacht als letztwillige Verfügung des Dritten als Erblasser oder als erbrechtliches Rechtsgeschäft des Berechtigten – die künftige erbrechtliche Position unmittelbar verändern würde, sei es im Hinblick auf ihre Entstehung, Zuweisung oder ihren Inhalt? Da nur der künftige Berechtigte über seine erbrechtliche Position disponieren kann, muss dieser Berechtigte Partei des Vertrages sein.
Rz. 9
Vor diesem Hintergrund verbietet § 311b Abs. 4 BGB neben den Verträgen, die auf eine Übertragung der genannten künftigen erbrechtlichen Positionen gerichtet sind, auch etwaige Verträge über die Erbauseinandersetzung (gedacht als letztwillige Verfügung des Dritten: Teilungsanordnung). Gleiches gilt für Verträge über die Annahme oder Ausschlagung einer Erbenstellung (gedacht als erbrechtliches Rechtsgeschäft des Berechtigten: Erbverzicht), Verträge über die Stundung oder den Erlass des Pflichtteilsanspruchs (gedacht als erbrechtliches Rechtsgeschäft des Berechtigten: Pflichtteilsverzicht) oder Verträge über eine Annahme oder Ausschlagung des Vermächtnisses (gedacht als erbrechtliches Rechtsgeschäft des Berechtigten: Zuwendungsverzicht) oder die Modalitäten seiner Erfüllung (gedacht als letztwillige Verfügung des Dritten: erneute Anordnung eines abweichenden Vermächtnisses). Im Anwendungsbereich des Verbots befinden sich auch Verträge über den Abschluss erbrechtlicher Rechtsgeschäfte durch eine Vertragspartei mit dem Erblasser im Hinblick auf künftige erbrechtliche Positionen, etwa ein Vertrag, der eine Partei zum Abschluss oder zur Aufhebung eines Erbvertrags, Erbverzichts oder Pflichtteilsverzichts mit dem Erblasser verpflichtet. Insbesondere handelt es sich bei solchen Verträgen nicht um nach § 2302 BGB verbotene Testierverträge. Zum einen ist der Erblasser nicht an dem Vertrag beteiligt, zum anderen ist Vertragsgegenstand ein erbrechtliches Rechtsgeschäft unter Lebenden und keine Verfügung von Todes wegen. Auch einen Vertrag, der eine der Parteien verpflichtet, einen Erb- oder Pflichtteilsverzicht mit dem Erblasser aufrechtzuerhalten, wird man als Erbschaftsvertrag zu qualifizieren haben.
Rz. 10
Auf den ersten Blick stellen Verträge über bestimmte Nachlassgegenstände keine Erbschaftsverträge im Wortsinne des § 311b Abs. 4 BGB dar, wie auch die Rechtsprechung betont. Allenfalls Verträge, die sich auf einzelne Nachlassgegenstände im Hinblick auf eine der in § 311b Abs. 4 BGB genannten Rechtspositionen beziehen, fallen unter das Erbschaftsvertragsverbot. Das gilt etwa für Verträge zwischen künftigen Erben und Pflichtteilsberechtigten, die einen Nachlassgegenstand für Zwecke der künftigen Pflichtteilsberechnung oder einen zu Lebzeiten verschenkten Gegenstand für Zwecke der künftigen Pflichtteilsergänzung ausklammern.
III. Unzulässiger Erbschaftsvertrag über ein künftiges Vermächtnis – BGH
Rz. 11
Über ein vom Erblasser angeordnetes Vermächtnis können seine gesetzlichen Erben nicht ohne s...