(a) Güterrechtliche oder erbrechtliche Qualifikation?
Rz. 120
Bei Geltung deutschen Rechts ist für den Fall des Eintritts gesetzlicher Erbfolge zu klären, ob der pauschalierte Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB güterrechtlich oder erbrechtlich einzuordnen ist. Sehr häufig bestimmen sich Erbstatut und Güterrechtsstatut nach verschiedenen Rechtsordnungen. Ursächlich dafür sind die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte der IPR-Vorschriften für Erbrecht einerseits und für Güterrecht andererseits. Zusätzlich erschwert wird diese Frage dadurch, dass das gesetzliche Erbrecht vom deutschen Güterrecht beeinflusst wird. Nach Art. 15, 14 EGBGB ist die Staatsangehörigkeit der Eheleute bzw. eines von ihnen nicht der einzige Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Güterrecht. Daneben kommen in Betracht der Wohnsitz, der Aufenthalt oder subsidiär sonstige "Sachnähe" zu einer konkreten staatlichen Rechtsordnung. Entscheidend beim Güterrechtsstatut ist jedoch, dass es unwandelbar ist – außer durch Ehevertrag – und mit der Heirat erworben wird, Art. 15 Abs. 1 EGBGB ("Versteinerungsgrundsatz" des Güterrechts).
Demgegenüber kann sich das Erbrechtsstatut wandeln, bspw. bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers und bei einer erbrechtlichen Rechtswahl.
(b) BGH: Griechisches Erbrecht – deutsches Zugewinnausgleichsrecht – Beschl. v. 13.5.2015:
Rz. 121
Zitat
"Der pauschale Zugewinnausgleich nach § 1371 Abs. 1 BGB ist im Sinne der Artt. 15, 25 EGBGB rein güterrechtlich zu qualifizieren."
Aus den Gründen:
"… Ist deutsches Recht danach Güterstatut, so ist der Anwendungsbereich von § 1371 Abs. 1 BGB unabhängig vom einschlägigen Erbstatut eröffnet."
(c) Rechtsprechung des EuGH: Qualifikation der Zugewinnpauschale des § 1371 Abs. 1 BGB als erbrechtlich – Urt. v. 1.3.2018
Rz. 122
Zitat
"Art. 1 Abs. 1 [… der EuErbVO …] ist dahin auszulegen, dass eine nationale Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt."
Der EuGH hat abweichend von der bisher für Deutschland h.M. entschieden. Hatte der BGH im Jahr 2015 für das deutsche internationale Privatrecht entschieden, dass § 1371 Abs. 1 BGB in internationalen Erbfällen güterrechtlich zu qualifizieren sei, so muss nun bei Anwendung der EuErbVO nach dem EuGH die Norm erbrechtlich qualifiziert werden.
Die Sache war vom KG vorgelegt worden im Zusammenhang mit der Frage, ob im ENZ das Erhöhungsviertel aus § 1371 Abs. 1 BGB auszuweisen ist oder nicht, weil der BGH dieses Viertel nicht als erbrechtlich, sondern als güterrechtlich qualifiziert hatte. Nach EuGH ist das Viertel in das ENZ aufzunehmen.
Die Reichweite der Entscheidung für § 1371 Abs. 1 BGB ist jenseits des ENZ begrenzt. Einzig relevant ist der Fall, dass deutsches Güterrecht neben ausländischem Erbrecht zur Anwendung kommt und der überlebende Ehegatte Erbe aufgrund gesetzlicher Erbfolge ist, da nur in diesem Fall der Erbteil des Ehegatten gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöht wird. Liegt ein solcher Fall vor, nimmt die Entscheidung des EuGH dem überlebenden Ehegatten seine güterrechtliche Position, nämlich ein Viertel der Erbschaft des Verstorbenen. Nach dem Wortlaut des § 1371 BGB und gewiss auch nach ausländischem Erbrecht gibt es hierfür keine Kompensation. Das überrascht in der EuGH-Entscheidung gerade deshalb, weil genau dieser Punkt für die güterrechtliche Qualifikation durch den BGH entscheidend war.
Rz. 123
Tatsächlich ist diese Schlechterstellung der Preis dafür, dass das für die Entscheidung zuständige, i.d.R. ausländische Gericht die Erbfolge unter Anwendung nur eines einheitlichen Erbrechts, i.d.R. sogar seiner lex fori, verbindlich feststellen und im ENZ ausweisen kann. Diese Einfachheit bietet Gewähr für eine möglichst einheitliche und richtige Rechtsanwendung. Beim BGH ging es hingegen noch um die Rechtsanwendung durch deutsche Gerichte, wenn diese nach ihrem IPR deutsches Güter- und ausländisches Erbrecht gemeinsam zu einem passenden Ergebnis bringen mussten, und zwar ohne Rücksicht auf einen europäischen Entscheidungseinklang, für den es noch keine Normen gab. Für den europäischen Entscheidungseinklang ist die Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB, wenn sie jenseits des Erbrechts unmittelbar die Erbquoten verändert, so misslich, dass es gerechtfertigt war, für dieses Ziel die güterrechtliche Rechtsposition des überlebenden Ehegatten zu opfern. Es hätte dem EuGH allerdings gut angestanden, dies auch auszusprechen.
Rz. 124
Für den überlebenden Ehegatten ist dieses Ergebnis allerdings bitter. Das Versprechen, bei Ende des gesetzlichen Güterstands einen güterrechtlichen Ausgleich zu erhalten, wird im Todesfall bei Anwendung ausländischen Erbrechts nicht mehr eingelöst. Sein Schutz vor dem Verlust des Zugewinnausgleichs durch das Erfordernis seiner Mitwirkung an einem notariell zu beurkundenden Ehevertrag wird im Fall des § 1371 Abs. 1 BGB