Rz. 95
Zur Entstehungsgeschichte der EuErbVO und den wichtigsten Änderungen im Überblick siehe § 24.
aa) Erweiterte Rechtswahlmöglichkeiten
Rz. 96
Auch wenn mit der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt für die Mehrheit der Länder in der EU ein erheblicher Systemwechsel im IPR verbunden ist, wird dies durch die Möglichkeit gemildert, dass der Erblasser das Recht des Staates wählen kann, dessen Staatsangehörigkeit er zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes besitzt (Art. 22 Abs. 1 EuErbVO). Eine besonders enge Verbindung zu diesem Staat ist nicht erforderlich. Ferner kann bei mehreren Staatsangehörigkeiten jede einzelne gewählt werden, ohne dass es auf den Vorrang einer effektiven Staatsangehörigkeit ankommt (Art. 22 Abs. 1 2. Absatz EuErbVO).
Rz. 97
Eine bestätigende Wahl des Rechts des gewöhnlichen Aufenthaltsorts zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung (confessio iuris) wird dagegen von der EuErbVO nicht zugelassen, um eine zu weitgehende Einflussnahme auf das anwendbare Erbrecht und die damit zusammenhängenden Pflichtteils- und Noterbrechte zu vermeiden.
Rz. 98
Die EuErbVO räumt jedem Erblasser die Möglichkeit einer erbrechtlichen Rechtswahl ein (Art. 22 EuErbVO und Erwägungsgründe (EG) Nr. 38 ff.). Dabei kann allerdings nur das Recht des Staates gewählt werden, dem der Erblasser im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes angehört. Bei Erblassern mit mehreren Staatsangehörigkeiten kann jedes der Heimatrechte gewählt werden. Auf die effektive Staatsangehörigkeit kommt es nicht an.
bb) Voraussetzungen der Rechtswahl
Rz. 99
Die Rechtswahl muss zwingend in einer (wirksamen) letztwilligen Verfügung enthalten sein. Sofern sie nicht ausdrücklich erfolgt, kann sie sich auch aus den Bestimmungen der Verfügung ergeben. Wann man im Rahmen der Auslegung von einer solchen konkludenten Rechtswahl ausgehen kann, bleibt unklar. Allein die verwendete Sprache oder spezielle rechtliche Begriffe aus einer Rechtsordnung dürften dafür nicht reichen, wenn es sich inhaltlich um Verfügungen handelt, die mit vergleichbarem Inhalt praktisch in allen betroffenen Rechtsordnungen bekannt sind (wie z.B. eine allgemeine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis). Handelt es sich dagegen um spezielle Rechtsinstitute, die nur ein Recht kennt (wie z.B. eine Vor- und Nacherbfolge), wird man in der Regel die Rechtswahl unterstellen können, um eine durch ein Handeln unter fremdem Recht notwendige Umdeutung zu vermeiden. In der Gestaltungspraxis wird man ohnehin zur ausdrücklichen Rechtswahl raten bzw. im umgekehrten Fall, bei dem das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts zur Anwendung kommen soll, ausdrücklich formulieren, dass keine konkludente Rechtswahl gewünscht wird.
cc) Vor dem 17.8.2015 getroffene Rechtswahl
Rz. 100
Wie Art. 83 Abs. 2 EuErbVO klarstellt, kann die Rechtswahl auf das Staatsangehörigkeitsrecht auch schon in einem vor dem 17.8.2015 errichteten Testament enthalten sein (natürlich unter Berücksichtigung des Aspekts, dass diese ihr Ziel verfehlen kann, wenn der Erblasser zuvor verstirbt).
Dies gilt sicherlich auch für ältere Testamente oder Erbverträge aus der Zeit vor Inkrafttreten der EuErbVO, zumal solche älteren Verfügungen nach Art. 83 Abs. 4 EuErbVO ggf. so auszulegen sind, als sei eine Rechtswahl konkludent erfolgt.
Die Wahl des deutschen Errichtungsstatuts in einem Erbvertrag, der von einer nach dem 17.8.2015 verstorbenen deutschen Erblasserin mit einem italienischen Staatsangehörigen vor diesem Stichtag (Art. 83 Abs. 1 EuErbVO) geschlossen wurde, ist wirksam, wenn die Rechtswahl die Voraussetzungen der Art. 22 ff. EuErbVO erfüllt.
Rz. 101
Außerdem bleibt nach Art. 83 Abs. 2 (2. Alt.) EuErbVO eine frühere Rechtswahl über den 17.8.2015 hinaus in Kraft, wenn diese nach dem maßgeblichen nationalen IPR wirksam getroffen wurde (vgl. den Wortlaut von Art. 83 Abs. 2 EuErbVO).
Rz. 102
Auch eine Rechtswahl, die nach Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F. vorgenommen wurde, kann – entgegen der eigentlichen Intention der Verordnung – auch künftig noch zu einer Nachlassspaltung führen.
Rz. 103
Zu beachten bleibt schließlich, dass eine ausdrückliche oder konkludente Rechtswahl immer als Sachnormverweisung zu verstehen ist (Art. 34 Abs. 2 EuErbVO), so dass Rück- oder Weiterverweisungen aus außereuropäischen Ländern, deren Recht gewählt wird, nicht zu beachten sind.
dd) Rechtswahl und internationale Zuständigkeit
Rz. 104
Neben inhaltlichen Erwägungen, die in erster Linie für die Rechtswahl auf das Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblich sein werden, kann auch eine Verlagerung der inter...