Rz. 616

Kern der Hartz IV-Reform war die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für erwerbsfähige Hilfebedürftige zu einer neuen Leistung, nämlich der Grundsicherung für Arbeitssuchende (= ALG II), systematisch wäre die Bezeichnung "Sozialhilfe II" besser gewesen.

(a) Personenkreis

 

Rz. 617

Die Anspruchsberechtigten sind gesetzlich definiert als Personen, die (kumulative Voraussetzungen)

zwischen 15 und 65 Jahre alt (§ 7 I Nr. 1 SGB II),
erwerbsfähig (§§ 8, 7 I Nr. 2 SGB II),
hilfebedürftig (§§ 9, 7 I Nr. 3 SGB II) sind,
in Deutschland leben (§ 7 I Nr. 4 SGB II) unabhängig von der Nationalität.
 

Rz. 618

Keine Leistungen erhalten u.a. Auszubildende mit Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG oder nach §§ 57, 58 SGB III (§ 7 V, VI SGB II). Ebenfalls keine Leistungen erhalten Personen, die länger als 6 Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sind sowie Bezieher von Altersrente (§ 7 IV SGB II).

 

Rz. 619

In Deutschland lebende Ausländer erhalten Leistungen nach dem SGB II nur eingeschränkt (siehe §§ 7 I 2, 8 II SGB II).[392] Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG sind vom Leistungsbezug ausgeschlossen, § 7 I 2 Hs. 2 SGB II.[393] Der Ausschluss von der Anschlussleistung des ALG II gilt auch dann, wenn sie zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Dies führt dazu, dass auch bei vorangegangener rentenpflichtversicherter Tätigkeit der Anspruch nach § 119 SGB X (bis 1.1.2011; siehe Rn 649) bei prognostischer Annahme eines ALG II-Bezuges entfällt.

 

Rz. 620

Erwerbsfähig ist – in Anlehnung an § 43 II 2 SGB VI (volle Erwerbsminderung) – nach § 8 I SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 h/Tag erwerbstätig zu sein. Nicht-Erwerbsfähige erhalten Sozialhilfe nach dem SGB XII.

 

Rz. 621

Hilfebedürftig (ergänzend siehe Rn 1072 ff.) ist nach § 9 I SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen aus den einzusetzenden Mitteln und Kräften, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, nicht in vollem Umfang decken kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.[394] Einkünfte und Vermögen der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind nach Maßgabe des § 9 II – V, 11, 12 SGB II zu berücksichtigen und können den ALG II-Anspruch mindern oder ausschließen.

[392] Siehe LSG NW v. 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 – ArbuR 2013, 447 = DVBl 2014, 127 (nur Ls.) = NVwZ 2013, 8 (Revision anhängig BSG – B 4 AS 64/13 R –) (Rumänische Staatsangehörige, die sich nach längerer objektiv aussichtsloser Arbeitsuche weiter im Bundesgebiet gewöhnlich aufhalten, haben einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuerkannt. Der Leistungsausschluss des § 7 I 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keine Grundsicherungsleistungen erhalten, steht dem nicht entgegen.).
[393] BT-Drucks 15/1516, S. 52; BSG v. 13.11.2008 – B 14 AS 24/07 R – BSGE 102, 60 = NZA-RR 2009, 333 = NVwZ-RR 2009, 638 = SGb 2009, 34 (Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass Asylbewerber und geduldete Ausländer keine Hartz IV-Leistungen erhalten).
[394] Siehe auch BT-Drucks 15/1516, S. 50.

(b) Angehörige

 

Rz. 622

Anspruchsberechtigt sind unter den weitergehenden Voraussetzungen des § 7 II SGB II neben den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch die Angehörigen (§ 7 III SGB II) ihrer Bedarfgemeinschaft.

 

Rz. 623

Die schadenersatzrechtliche Problematik besteht in der Trennung zwischen unfallabhängigem und unfallfremdem Teil der Leistung, da hier Drittbelastungen einfließen.

(c) Nachrangigkeit

 

Rz. 624

Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes dürfen nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (§ 3 III SGB II). Es besteht Subsidiarität der Leistungsverpflichtung. Verpflichtungen und Leistungen Dritter gehen grundsätzlich den Leistungen nach dem SGB II vor; § 5 I 1 SGB II entspricht § 2 II 1 BSHG a.F. (§ 2 SGB XII).

 

Rz. 625

Verdienstausfallansprüche, aber auch andere Schadenersatzansprüche, die einem Verletzten für die Zukunft zustehen, müssen ihm ohne Berücksichtigung etwaiger Ansprüche nach dem SGB II oder SGB XII zuerkannt werden.[395] Im Hinblick auf den Subsidiaritätscharakter der ­Hilfen nach SGB II/SGB XII muss ein Geschädigter seinen Lebensbedarf zunächst aus dem Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger decken, bevor er auf die Leistungsträger nach SGB II/SGB XII zurückgreifen kann. Es stellt bereits von daher keinen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht dar, wenn ein Geschädigter keine Leistungen nach dem SGB II beantragt.

[395] BGH v. 3.3.1998 – VI ZR 385/96 – DAR 1998, 231 = EWiR 1998, 393 (Anm. Grunsky) = MDR 1998, 595 = NJW 1998, 1634 = NZV 1998, 279 = r+s 1998, 196 = SP 1998, 241 = VersR 1998, 772 = zfs 1998, 210, BGH v. 4.3.1997 – VI Z...

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