Frank-Michael Goebel, Claudia Wagener-Neef
Rz. 57
Ob die vorgerichtliche Tätigkeit des RA mit der Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG zu vergüten ist, hängt entscheidend von dem Auftrag des Mandanten ab. Schwierigkeiten kann die Abgrenzung im Verhältnis zur Beratung, zum Prozessverfahren oder zum Schreiben einfacher Art bereiten.
1. Beratung und schriftliches Gutachten
Rz. 58
Im Verhältnis zur Beratung zielt der Auftrag des Mandanten i.S.d. Geschäftsgebühr darauf ab, dass der RA nicht nur eine Auskunft oder eine Verhaltensempfehlung zur Regelung des konkreten Anliegens des Mandanten erteilt, sondern sich der Angelegenheit eingehender annimmt, indem er z.B. dem Mandanten eine Formulierungshilfe gibt oder gar für ihn nach außen hin tätig wird.
Rz. 59
Beispiel
Der Auftraggeber legt dem RA die von seinem Vermieter erhaltene Nebenkostenabrechnung vor mit der Bitte um Überprüfung. Der RA stellt fest, dass der Vermieter Betriebskosten geltend gemacht hat, die nicht Gegenstand des Mietvertrages und somit nicht geschuldet sind. Da der Mandant das ansonsten gute Verhältnis zu seinem Vermieter nicht beeinträchtigen möchte, beauftragt er den RA, ein Schreiben zu formulieren, das der Mandant unter seinem Namen an den Vermieter absendet.
Rz. 60
Beim vorstehenden Sachverhalt ist wegen der weitergehenden Befassung mit dem Rechtsproblem des Mandanten, die in der Formulierung für den Schriftsatz des Auftraggebers liegt, der Bereich der Beratung verlassen, so dass der RA die Geschäftsgebühr zu beanspruchen hat.
Hätte sich der Mandant von seinem RA hingegen mitteilen lassen, welche Argumente er zur Abwehr der Forderung in seinem Schreiben an den Vermieter aufnehmen möge, und das Schreiben anschließend selbst verfasst, kann der RA lediglich eine Beratung gem. § 34 Abs. 1 RVG abrechnen.
Rz. 61
Die durch die Beauftragung des Mandanten erwachsene Geschäftsgebühr bleibt auch bestehen, wenn es zur angedachten Tätigkeit nicht mehr kommt, sondern es bei der beratenden Tätigkeit verbleibt. Insoweit ist folgender Fall denkbar:
Rz. 62
Beispiel
Der Auftraggeber hat einen Zimmereifachbetrieb und beauftragt den RA mit der vorgerichtlichen Geltendmachung seines Werklohnanspruchs aus der Errichtung eines Carports. Anlässlich der geführten Besprechung stellt der Auftraggeber fest, dass er das vom Gegner unterzeichnete Abnahmeprotokoll nicht dabei hat, so dass verabredet wird, dass er die fehlende Unterlage dem RA nachreicht. Aus nicht vom RA zu vertretenden Gründen kündigt der Auftraggeber das Mandat, noch bevor er das Abnahmeprotokoll zur Verfügung stellt. Auch wenn der RA sich noch nicht gegenüber dem Gegner legitimiert hatte und dementsprechend eine Tätigkeit nach außen hin noch nicht erfolgt war, ist die Geschäftsgebühr aufgrund des entsprechend erteilten Auftrages entstanden und bleibt bestehen.
Rz. 63
Im Vergleich zum Gutachten ist der Auftrag des Mandanten nicht auf eine wissenschaftliche Aufarbeitung ausgelegt, die losgelöst von der Perspektive des Mandanten die Sach- und Rechtslage untersucht und bewertet (Rdn 22 ff.), sondern es stehen die Interessen des Mandanten im Vordergrund, der RA möge ein bestimmtes Ergebnis durch seine vorgerichtlichen Bemühungen erreichen. Im Rahmen der Forderungssachbearbeitung lautet das Ziel in der Regel, einen Anspruch durchzusetzen oder abzuwehren.
2. Vorgerichtliche Tätigkeit bei Prozessauftrag
Rz. 64
Handelt der RA entgegen dem ihm erteilten Auftrag, ändert dies nichts an seinem Gebührenanspruch.
Rz. 65
Beispiel
Der Auftraggeber legt dem RA seine an den Kunden versandte Rechnung über die von ihn erbrachten Dienstleistungen vor. Der Mandant hat den Ausgleich der Rechnung bereits dreimal schriftlich angemahnt und beauftragt den RA mit dem Antrag auf Erlass des Mahnbescheides. Der RA fordert den Gegner jedoch zunächst noch einmal schriftlich zur Zahlung auf. Daraufhin zahlt der Kunde des Mandanten.
Eine Geschäftsgebühr kann mangels entsprechenden Auftrags nicht entstanden sein. Gemäß dem erteilten Auftrag hätte der RA für den Mahnbescheidsantrag eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3305 VV RVG in Höhe einer 1,0-Gebühr zu beanspruchen. Da sich der Auftrag auf Einreichung des Mahnantrages jedoch aufgrund Zahlung der Gegenseite vorzeitig erledigt, steht dem RA die Gebühr gem. Nr. 3306 i.V.m. 3305 VV RVG in Höhe einer Verfahrensgebühr von lediglich 0,5 zu.
Rz. 66
Hinweis
In anwaltlichen vorgerichtlichen Anspruchsschreiben an den Gegner ist immer wieder zu lesen – vermutlich, um mehr Ernsthaftigkeit in der Konsequenz der Beitreibung bei Nichtzahlung zum Ausdruck zu bringen –, dass bereits Klagauftrag vorliegt und bei Nichtzahlung nach Ablauf der gesetzten Frist umgehend Klage erhoben wird, obwohl der RA vom Mandanten zunächst beauftragt wurde, die Forderung vorgerichtlich durchzusetzen. Bei solchen Formulierungen darf sich der RA dann nicht wundern, wenn der Gegner ihm die in Ansatz gebrachte Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG z.B. in Höhe eines Satzes von 1,3 auf die Verfahrensgebühr gem. Nr. 3101 i.V.m. Nr. 3100 VV RVG (vorzeitige Erledigung) in Höhe des Satzes von 0,8 reduziert. Sollte daher der Klagauftrag noch gar nicht erteilt worden sein oder n...