Rz. 92

Die Anrechnung verlangt eine sehr sorgfältige Abrechnung, da anderenfalls – wie die Praxis täglich zeigt – zu hohe Gebührenteile angerechnet werden. Die Gesamtvergütung des RA wird so unberechtigt geschmälert, was es zu vermeiden gilt.

Von der Geschäftsgebühr ausgehend ist eine Anrechnungsform nach zwei Seiten zu beachten:

1. Beratungsgebühr

 

Rz. 93

Gemäß § 34 Abs. 2 RVG ist, wenn nichts anderes vereinbart wurde, die Gebühr für die Beratung auf eine Gebühr für eine sonstige Tätigkeit, die mit der Beratung zusammenhängt, anzurechnen. Die "sonstige Tätigkeit" kann auch das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information i.S.d. Nr. 2300 VV RVG sein, so dass die Gebühr für die Beratung in voller Höhe auf die Geschäftsgebühr anzurechnen ist, sofern ein sachlicher Zusammenhang besteht, mithin es sich um dieselbe Angelegenheit handelt oder der Gegenstand der Beratung und die Tätigkeiten im Rahmen der Geschäftsgebühr identisch sind. Vertiefende Ausführungen zur Anrechnung der Beratungsgebühr siehe Rdn 43 ff.

 

Rz. 94

 

Beispiel

Der RA berät den Auftraggeber wegen der Abwehr einer Forderung in Höhe von 4.000,00 EUR. Für diese Beratung wurde eine Gebührenvereinbarung in Höhe eines Pauschalbetrages von 200,00 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer ohne Auslagenerstattung vereinbart. Der Mandant nimmt unter Zugrundelegung der in der Beratung gewonnenen Erkenntnisse Kontakt zum Gegner auf, was jedoch entgegen seiner Erwartung nicht zu einem Rechtsfrieden führt. Daraufhin beauftragt der Auftraggeber denselben RA mit der außergerichtlichen Vertretung.

 

Rz. 95

Die Anrechnung hat der RA wie folgt zu beachten:

 
Beratung:  
Pauschalgebühr gem. § 34 Abs. 1 S. 1 RVG 200,00 EUR
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 38,00 EUR
Summe 238,00 EUR
Außergerichtliche Vertretung:  
Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG (1,3) aus 4.000,00 EUR 327,60 EUR
./. Anrechnung gem. § 34 Abs. 2 RVG i.H.d. Pauschalgebühr ./. 200,00 EUR
  127,60 EUR
Post- und Telekommunikationsentgelte gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme 147,60 EUR
19 % Umsatzsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 28,04 EUR
Summe 175,64 EUR
Gesamtbetrag aus Beratung und außergerichtlicher Vertretung 413,64 EUR

2. Verfahrensgebühr

 

Rz. 96

Gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist die entstandene Geschäftsgebühr nach Teil 2 des VV RVG zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die von ihm zu berechnende Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen, wenn sich die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit auf denselben Gegenstand bezieht. Dies gilt sowohl für die folgende Verfahrensgebühr als auch für die vorangegangene Verfahrensgebühr, demgemäß zeitlich in beide Richtungen. Indem sich der Gesetzgeber auf die Geschäftsgebühren des Teil 2 bezieht, stellt die Anrechnungsvorschrift nicht nur auf die Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV RVG, sondern auch auf die Geschäftsgebühr i.S.d. Schreibens einfacher Art gem. Nr. 2301 VV RVG ab.

 

Rz. 97

Entsprechend dem Wortlaut der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG ist die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen und nicht umgekehrt. Dies bedeutet, dass von der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr kein Abzug errechnet wird, sondern die Hälfte der Geschäftsgebühr – höchstens 0,75 – von der Verfahrensgebühr subtrahiert wird.

 

Rz. 98

Da der Gesetzgeber in der zuvor benannten Vorbemerkung von "Gebühr" spricht, bezieht sich die Anrechnungsverpflichtung nicht auf die Vergütung als Ganzes, so dass Auslagen wie Dokumentenpauschalen, Post- und Telekommunikationsentgelte, Reisekosten, Umsatzsteuer usw. bei der Anrechnung unberücksichtigt bleiben.

 

Rz. 99

 

Hinweis

Bevor der RA die Anrechnung vornimmt, sollte er zunächst einmal prüfen, ob überhaupt die Tatbestandsvoraussetzungen hierfür vorliegen. Eine Anrechnung findet nur statt, wenn

vorgerichtlich und gerichtlich derselbe RA mandatiert ist,
der RA für denselben Auftraggeber tätig ist,
der RA gegen denselben Gegner die Interessen seines Mandanten vertritt,
der Gegenstand der vorgerichtlichen Vertretung und des gerichtlichen Verfahrens identisch sind und
ein zeitlicher Zusammenhang noch besteht.
 

Rz. 100

Wird außergerichtlich und gerichtlich dieselbe RA-Sozietät tätig, steht dies der Beauftragung desselben RA gleich. Dies gilt auch, wenn der Auftraggeber unterschiedliche RAe einer Sozietät für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit mandatiert. Wer nämlich einen einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalt beauftragt, schließt den Anwaltsvertrag im Zweifel nicht nur mit dem Rechtsanwalt ab, der seine Sache bearbeitet, sondern mit allen der Sozietät angehörenden RAen.[39] Seit der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann der Anwaltsvertrag auch unmittelbar zwischen der RA-Sozietät und dem Mandanten geschlossen werden.[40]

 

Rz. 101

Die Personenidentität des Mandanten und des Gegners wird ebenfalls bejaht, wenn Rechtsnachfolge eingetreten ist und das Mandat für oder gegen den Rechtsnachfolger fortgeführt wird.[41]

[39] BGH NJW 1971, 1801 = MDR 1971, 834.
[40] BGH NJW 2012, 2435–2442 = AnwBl 2012, 773–774...

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