Rz. 410

Die Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des IDW Standard S1 i.d.F. 2008 werden für die Bewertung von Unternehmen im Familien- und Erbrecht ergänzt durch die Stellungnahme des Bewertungsstandard HFA 2/1995.[608]

 

Rz. 411

Grundsätzlich stellt danach die Bewertung eines Unternehmens bei vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen im Familien- und Erbrecht keinen Sonderfall der Unternehmensbewertung in dem Sinne dar, dass abweichende Regelungen zu den Grundsätzen des IDW S1 zur Durchführung von Unternehmensbewertungen gelten.[609] So hat auch im Familien- und Erbrecht die Unternehmensbewertung nach den allgemein gültigen Grundsätzen

Ertragsbewertung
gesonderte Bewertung des neutralen Vermögens
ggf. Ansatz des Liquidationswertes

zu erfolgen, wenn sich die Parteien nicht zulässigerweise auf eine andere Vorgehensweise geeinigt haben.[610]

 

Rz. 412

Für die Bewertung im Familien- und Erbrecht bestehen allerdings die nachfolgenden Besonderheiten:

Bei der Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht gilt auch in den Fällen der nachträglichen Bewertung das strenge Stichtagsprinzip, wonach in die Bewertung nur die Erfolgsfaktoren einbezogen werden dürfen, die am Bewertungsstichtag schon in der Wurzel bestanden haben.[611] Frühester Stichtag für die Bewertung eines Unternehmens im Anfangsvermögen ist der 1.7.1958,[612] auch wenn die Ehe früher geschlossen worden ist.[613]

 

Rz. 413

Die Bewertung der Vermögenspositionen im Anfangs- und Endvermögen gemäß § 1376 BGB hat nach denselben Grundsätzen zu erfolgen, d.h. an beiden Stichtagen ist die Bewertung nach den aktuellen, als zutreffend anerkannten Bewertungsgrundsätzen in der Theorie und Praxis vorzunehmen.[614]

 

Rz. 414

Die für eine Unternehmensbewertung benötigten Informationen des Gutachters können im Familienrecht dadurch eingeschränkt sein, weil die wesentliche Auskunftsperson ein unmittelbar vom Verfahren Betroffener ist, der das Ergebnis zu seinen Gunsten beeinflussen will.[615] Der Verfahrensbevollmächtige des Ausgleichsberechtigten sollte daher stets bei der Inaugenscheinnahme des Bewertungsobjekts durch den Gutachter im Zuge der Beweisaufnahme anwesend sein, um einer Einflussnahme der Ausgleichspflichtigen entgegenzuwirken.

 

Rz. 415

Der Gutachter hat demnach die Ermittlung eines objektivierten Wertes unter Beachtung der Besonderheiten des Rechtsverhältnisses vorzunehmen.[616] Unsicherheiten bei der Unternehmensbewertung aufgrund unzureichender Informationen darf der Gutachter nicht durch Abschläge vom zu kapitalisierenden Ertrag bzw. durch Zuschläge zum Kapitalisierungszinssatz berücksichtigen.[617]

 

Rz. 416

Neben der Beachtung der Besonderheiten des Rechtsverhältnisses hat der Bewerter bei einer Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht in einem zweiten Bewertungsschritt auf die "Überleitung zum fairen Einigungswert" hinzuwirken.[618] In dem der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts unter Beachtung der Besonderheiten des Rechtsverhältnisses folgenden zweiten Bewertungsschritt müssen zur Festlegung fairer Einigungswerte – meist im Zusammenarbeit mit dem Gericht und gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung weiteren Vermögens, das nicht zu dem bewerteten Unternehmen gehört – die individuellen persönlichen Verhältnisse beachtet werden, um im Hinblick auf die Abfindungsfolgen ein für alle Beteiligten angemessenes Ergebnis zu erzielen.[619]

 

Rz. 417

Indem Finanzierungskosten zur Erfüllung des Zugewinnausgleichsanspruches bei der Überleitung zum fairen Einigungswert berücksichtigt werden, soll grundsätzlich der Gefahr entgegengewirkt werden, dass der Ausgleichspflichtige mangels liquider Vermögenswerte die Unternehmenssubstanz verzehren muss.[620]

 

Rz. 418

Desweiteren werden für die Überleitung zum fairen Einigungswert die mit der Durchführung des Zugewinnausgleichs unmittelbar verbundenen sowie die künftig voraussichtlich eintretenden Steuerfolgen individuell berücksichtigt.[621] Die ständige Rechtsprechung des BGH bestätigt diesbezüglich im Zugewinnausgleichsverfahren die Abzugsfähigkeit der latenten Steuerlast unabhängig von einer Verkaufsabsicht des Unternehmensinhabers.[622]

 

Rz. 419

Auch findet in dem Bewertungsstandard HFA 2/1995 eine etwaige Kollision zwischen Unterhalt und Zugewinnausgleich dadurch Beachtung, dass der Gutachter darlegen soll, inwieweit bei der Unternehmensbewertung Sachverhalte berücksichtigt sind, die auch bei der Bemessung von Unterhaltsverpflichtungen von Bedeutung sein können wie die Trennung zwischen Unternehmerlohn und Unternehmenserfolg.[623]

[608] IDW Stellungnahme HFA 2/1995 (HFA = Hauptfachausschuss des IDW): Zur Unternehmensbewertung im Familien- und Erbrecht.
[609] HFA 2/1995, I.
[610] HFA 2/1995, II.
[611] HFA 2/1995, II, 1.
[612] Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18.7.1957.
[613] HFA 2/1995, II, 1.
[614] HFA 2/1995, II, 2.
[615] HFA 2/1995, II 3.
[616] HFA 2/1995, I.
[617] HFA 2/1995, II, 3.
[618] HFA 2/1995, I.
[619] HFA 2/1995, IV.
[620] HFA 2/1995, IV, 1.
[621] HFA 2/1995, IV, 2.

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