Rz. 12

Oberste Richtschnur für ein Herausgabeverfahren ist die Wahrung des Kindeswohls, wie es in § 1697a BGB angesprochen ist. Es ist daher jeweils eine Einzelfallentscheidung zu treffen, im Rahmen derer alle Umstände gegeneinander abzuwägen sind.[23] Die zwangsläufig mit der Herausnahme verbundenen Beeinträchtigungen des Kindes sind allerdings nicht geeignet, die Herausnahme als solche in Frage zu stellen.[24]

 

Rz. 13

Das Herausgabeverfahren ist kein Vollstreckungsverfahren zu einer vorausgegangenen ­Sorgerechtsentscheidung; dies schon deshalb, weil die – lediglich rechtsgestaltenden – Sorgerechtsentscheidungen keinen vollstreckbaren Inhalt haben.[25] Die Herausgabeanordnung setzt vielmehr eine erneute, am Kindeswohl orientierte Sachprüfung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens voraus.[26] In jeder Lage des Verfahrens ist zu prüfen, ob sich das Herausgabeverlangen – noch – mit dem Kindeswohl vereinbaren lässt.[27] Erst aus einem Herausgabetitel kann die Vollstreckung betrieben werden.

 

Rz. 14

Es soll allerdings vermieden werden, dass eine zuvor getroffene Sorgerechtsregelung neu aufgerollt wird. Zu berücksichtigen sind daher nur die nach der Sorgerechtsentscheidung neu zutage getretenen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Umstände.[28] Das gilt selbst dann, wenn diese Umstände bereits zur Zeit der Sorgerechtsregelung existierten, dem Gericht aber noch nicht bekannt waren.[29]

 

Rz. 15

Analogieschlüsse zu den Vorschriften des Besitzrechts über die verbotene Eigenmacht sind selbstredend unzulässig, da das Kind wegen seines Persönlichkeitsrechts und des Vorrangs seines geistigen und leiblichen Wohles keinesfalls bloßes Objekt von Elternrechten sein kann. Es gibt in einem Rechtsstaat keine Rechte an Personen, die nicht unmittelbar mit Pflichten dieser gegenüber verbunden sind.[30]

[23] OLG Hamburg FamRZ 1993, 1337.
[24] OLG Hamm FamRZ 2002, 44.
[25] BVerfG FamRZ 2007, 1626; Anm. Völker, FamRB 2007, 359; BGH FamRZ 2005, 1540; Anm. Völker, jurisPR-FamR 22/2006, Anm. 6.
[26] OLG Zweibrücken FamRZ 1999, 106; OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 601.
[27] BayObLG FamRZ 1991, 1080; OLG Hamburg FamRZ 1989, 420.
[28] OLG Koblenz ZKLJ 2016, 225; OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 601.
[29] Vogel, FPR 1996, 51.
[30] BVerfG FamRZ 2008, 845; Anm. Völker, FamRB 2008, 174; Anm. Clausius, jurisPR-FamR 14/2008, Anm. 1; Zempel, AnwZert FamRZ 9/2008, Anm. 3.

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