A. Einführung
Rz. 1
In Bezug auf die anwaltliche Vergütung gibt es wie in allen Rechtsgebieten eine Unmenge an Rechtsprechung. Dabei ist es im normalen Arbeitsalltag kaum möglich, hier den umfassenden Überblick zu wahren – schließlich handelt es sich bei der Abrechnung für viele nur um einen Nebenschauplatz nach eigentlich getaner Arbeit. Bedenklich ist es jedoch, dass manchmal auch die Rechtsprechung der Bundesgerichte nicht bekannt ist, selbst wenn eine Frage bereits lange und mehrfach geklärt ist.
Rz. 2
Das eine oder andere Mal lässt sich sicher darüber streiten, ob eine Entscheidung der obersten Gerichte richtig ist und die Auslegung einer Vorschrift tatsächlich dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Und man muss der Meinung der hohen Richter auch nicht immer entgegen der eigenen Rechtsauffassung folgen – andernfalls gäbe es nie eine Korrektur der "falschen" Rechtsprechung. Schließlich sieht sich der Gesetzgeber ebenfalls gelegentlich veranlasst, einer ungewollten Rechtsprechung durch eine Gesetzesänderung entgegenzutreten. Aber selbst wenn man nicht immer mit der höchstrichterlichen Auffassung konform geht und eine andere Meinung durchaus vertretbar – ja vielleicht sogar plausibler – sein mag, sollte man die Entscheidungen zu den vergütungsrechtlich relevanten Themen zumindest kennen. Schließlich landen leider immer häufiger Gebührenstreitigkeiten mit dem Mandanten bei der Staatsanwaltschaft, und auch wenn es um die Frage der Erfolgsaussichten eines kostenauslösenden Rechtsmittels im Rahmen der Festsetzung geht, sollte man aus Haftungsgründen besonders aufmerksam sein. Zudem kann es sich heute kaum einer leisten, seine wohl verdienten Gebühren zu verschenken. Und es gibt mehr höchstrichterliche Entscheidungen als mancher vermuten mag – nicht nur vom BGH.
Eine umfassende Darstellung würde den Rahmen hier sprengen. Es soll jedoch zumindest mittels einiger Leitsätze ein kurzer Überblick über die relevantesten gebührenrechtlichen Fragen, insbesondere auch im Bereich der Erstattung, gegeben werden. Die Entscheidungen im Volltext (vom BGH alle frei zugänglich auf bundesgerichtshof.de) und weiterführende Fundstellen lassen sich dann in der Regel ohne größere Probleme im Internet recherchieren. Wichtig ist es, auch hier sein Problembewusstsein nicht zu verlieren und die eine oder andere Thematik im Hinterkopf zu behalten.
B. Angelegenheit
I. Mehrere Abmahnungen
1. Leitsatz: BGH, Urt. v. 6.6.2019 – I ZR 150/18
Rz. 3
Der Novembermann
Lässt der Rechtsinhaber gegenüber unterschiedlichen, rechtlich oder wirtschaftlich nicht verbundenen Unternehmen oder Personen in engem zeitlichem Zusammenhang getrennte, im Wesentlichen gleichlautende Abmahnungen wegen des rechtswidrigen Vertriebs von Vervielfältigungsstücken derselben Werke aussprechen, die aus derselben Quelle stammen, so können diese Abmahnungen eine Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG darstellen.
2. Leitsatz: BGH, Urt. v. 22.1.2019 – VI ZR 402/17
Rz. 4
a) Dem Geschädigten steht ein Erstattungsanspruch im Hinblick auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nur dann zu, wenn er im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist (st. Rspr., Senat, Urt. v. 21.6.2011 – VI ZR 73/10 Rn 8 m.w.N.).
b) Eine Tätigkeit in derselben Angelegenheit kann auch dann vorliegen, wenn der Rechtsanwalt einheitlich mit der Abwehr von inhaltlich übereinstimmenden Folgeberichterstattungen verschiedener Schädiger beauftragt wird.
3. Leitsatz: BGH, Urt. v. 27.7.2010 – VI ZR 261/09
Rz. 5
a) Wird ein Rechtsanwalt beauftragt, gegen eine unrichtige Presseberichterstattung vorzugehen, so kann eine Tätigkeit in derselben Angelegenheit auch dann vorliegen, wenn durch die unrichtigen Äußerungen sowohl eine GmbH als auch deren Geschäftsführer betroffen sind und sich die für die Betroffenen ausgesprochenen Abmahnungen sowohl gegen den für das Printprodukt verantwortlichen Verlag als auch gegen die für die Verbreitung der Berichterstattung im Internet Verantwortlichen richten.
b) Sind durch eine falsche Berichterstattung eine GmbH und ihre Geschäftsführer in gleicher Weise betroffen und sollen sich die Abmahnungen wegen der wortgleichen Berichterstattung an den Verlag der Printausgabe, an die Domaininhaberin sowie an die Betreiberin des Online-Angebots richten, wird die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer getrennten Beauftragung derselben Anwaltssozietät und einer getrennten anwaltlichen Bearbeitung in der Regel jedenfalls dann zu verneinen sein, wenn die Abmahnungen ohne weiteren Aufwand zu Unterlassungserklärungen der für die Berichterstattung Verantwortlichen führen und die Sache bis dahin ohne weiteres als eine Angelegenheit bearbeitet werden kann.
4. Anmerkung
Rz. 6
Auch in weiteren Entscheidungen hat der BGH die getrennt verfolgte Abmahnung verschiedener Verletzungshandlungen als nicht notwendig und damit die Mehrkosten gegenüber einem einheitlichen Vorgehen als nicht erstattungsfähig angesehen, so u.a. bei