Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 52
Von besonderer praktischer Relevanz ist der Schadensersatzanspruch der Nachlassgläubiger gegen den Erben wegen fehlerhafter Verwaltung, wenn der Erbe entgegen § 1979 BGB einzelne Nachlassgläubiger aus den unzulänglichen Nachlassmitteln befriedigt hat. Die Norm, die auch von einem Nachlasspfleger oder Testamentsvollstrecker zu beachten ist, statuiert ab dem frühen Zeitpunkt der erstmaligen Erkennbarkeit der Nachlassüberschuldung ein äußerst haftungsträchtiges Auszahlungsverbot, das funktional § 15b InsO entspricht. Die persönliche Haftung des Organs für Auszahlungen trotz Insolvenzreife entspricht einem allgemeinen Rechtsprinzip, das für alle Rechtssubjekte ohne natürliche Person als persönlich haftendem Gesellschafter und damit auch für verselbstständigte Sondervermögen wie Nachlässe Gültigkeit besitzt.
Rz. 53
Verwendet der Erbe Nachlassmittel zur Befriedigung einzelner Nachlassgläubiger trotz zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbarer Unzulänglichkeit des Nachlasses, müssen die Nachlassgläubiger solche Zahlungen gemäß § 1979 BGB nicht als für Rechnung des Nachlasses erfolgt gelten lassen, d.h. sie haben gegen den Erben oder gegen den an seiner Stelle handelnden Nachlasspfleger/Testamentsvollstrecker einen Schadensersatzanspruch gemäß § 1978 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 662 ff., 280 Abs. 1 BGB, wobei § 1979 BGB den Haftungsmaßstab vorgibt.
Rz. 54
Bei der Frage, ob der Erbe annehmen durfte, der Nachlass werde zur Befriedigung sämtlicher Nachlassverbindlichkeiten hinreichen, ist nach allgemeiner Auffassung ein strenger Maßstab anzulegen, d.h. der Erbe hat sämtliche Nachlassunterlagen und sonstigen verfügbaren Informationsquellen sorgfältig im Hinblick auf bestehende Verbindlichkeiten zu prüfen und ggf. ergänzende Auskünfte einzuholen, soweit sich daraus auch nur entfernte Anhaltspunkte für bislang unbekannte Verbindlichkeiten ergeben. Im Zweifel hat der Erbe vor einer Befriedigung irgendeines Gläubigers die Durchführung des Aufgebotes gemäß § 1970 BGB zu beantragen, vgl. § 1980 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Beweislast dafür, dass der Erbe ohne Fahrlässigkeit von der Zulänglichkeit des Nachlasses ausgehen durfte, hat der Erbe, d.h. es besteht zunächst einmal eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die betreffende Zahlung gegen das Auszahlungsverbot verstoßen hat.
Die Behauptung, der Erbe habe keine Kenntnis von weiteren Verbindlichkeiten gehabt, genügt nicht zu seiner Entlastung, weil § 1980 Abs. 2 S. 1 BGB die auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der positiven Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung gleichstellt.
Rz. 55
§ 1979 BGB ist gemäß § 1985 BGB auch von einem Nachlassverwalter zu beachten und führt bei Verstoß zu einer persönlichen Haftung, die ggf. von einem späteren Insolvenzverwalter gegen den Nachlassverwalter geltend zu machen ist.
§ 1979 BGB ist nach richtiger Ansicht auch von einem einfachen (Sicherungs-) Nachlasspfleger zu beachten. Schließlich können diesem als gesetzlichem Vertreter des Erben nicht umfangreichere Befugnisse zustehen als dem Erben. Ein schuldhafter Verstoß gegen § 1979 BGB durch den Nachlasspfleger wird dem unbekannten Erben daher auf jeden Fall gemäß § 278 BGB zugerechnet und führt dementsprechend zu einem Schadensersatzanspruch gegen den Nachlass.
Rz. 56
Damit ist dem geschädigten Gläubiger in den praktisch bedeutsamen Fällen von Nachlassinsolvenz allerdings nicht wirklich gedient, da er ja sowieso offene Forderungen gegen den Nachlass hat und sich seine Lage durch einen weiteren maximal wertäquivalenten Anspruch gegen das gleiche Insolvenzsubjekt nicht nennenswert verbessert. Einzig sachgerecht ist daher eine persönliche Haftung des Nachlasspflegers, die entweder auf eine Analogie zu § 1985 BGB oder nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation begründet werden kann. Pflichtwidriges Handeln des Nachlasspflegers führt in der Regel nur zu Schadensersatzansprüchen des Erben, da nach der Rechtsprechung des BGH der Nachlasspfleger grundsätzlich nur im Pflichtenkreis des Erben tätig wird und anders als ein Nachlassverwalter oder Nachlassinsolvenzverwalter, der auch Gläubigern gegenüber haftet, nicht im Interesse der Nachlassgläubiger tätig wird.
Rz. 57
Das Problem besteht konkret darin, dass dem unbekannten Erben in der Situation einer Nachlassinsolvenz aus den gegen § 1979 BGB verstoßenden und damit objektiv pflichtwidrigen Einzelbefriedigungen des Nachlasspflegers denklogisch kein wirtschaftlicher Schaden entstehen kann, da es dem Erben wirtschaftlich betrachtet schlicht egal sein kann, wenn bei rechnerischer Überschuldung mit auch nur einem EUR-Cent, das Haftungssubstrat der Nachlassgläubiger geschmälert wird. Als Erben steht ihm so oder so nichts davon zu, ganz egal, ob die Nachlassgläubiger zu 99,9 % oder zu 0 % aus dem unzulänglichen Nachlass befriedigt werden können. Der Schaden verlagert sich folglich zufällig vom Erben auf die Nachlassgläubiger mit der Folge, dass diese den Schadensersatzanspruch des Erben im Wege der Drittschadensliquidation gegen den Na...