Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 112
Vor den Insolvenzgläubigern müssen zunächst alle Ansprüche der Massegläubiger befriedigt werden. Wer Massegläubiger ist, bestimmen grundsätzlich die in allen Arten von Insolvenzverfahren gleichermaßen anwendbaren §§ 54, 55 InsO. Masseverbindlichkeiten sind die Verfahrenskosten i.S.d. § 54 InsO (hierzu siehe Rdn 208 ff.) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten nach Maßgabe des § 55 InsO. In Nachlassinsolvenzen erweitert sich der Kreis der sonstigen Masseverbindlichkeiten um die Verbindlichkeiten des § 324 Abs. 1 InsO. Die gesetzlichen Regelungen sind grundsätzlich abschließend. Weitere besondere Masseverbindlichkeiten können sich lediglich noch aus § 100 InsO (Unterhalt des Schuldners) und aus § 123 Abs. 2 InsO (Sozialplan) ergeben, welche in Nachlassinsolvenzverfahren praktisch so gut wie keine Rolle spielen. Nach § 40 InsO können familienrechtliche Unterhaltsansprüche gegen den Schuldner für die Zeit nach Verfahrenseröffnung geltend gemacht werden, soweit der Schuldner als Erbe des Verpflichteten haftet. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um Masseverbindlichkeiten, sondern um Insolvenzforderungen.
Rz. 113
§ 324 Abs. 1 InsO privilegiert zum einen bestimmte Erbfallschulden, deren Befriedigung im öffentlichen Interesse steht, sowie Verbindlichkeiten, die im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses in dem Zeitraum zwischen Erbfall und Verfahrenseröffnung begründet wurden. Die letzteren Privilegierungen sind Ausfluss des nachlassinsolvenzrechtlichen Prinzips, die Wirkungen der Verfahrenseröffnung nach Möglichkeit auf den Todeszeitpunkt zurückzubeziehen, d.h. die Beteiligten wirtschaftlich so zu stellen, als wäre das Nachlassinsolvenzverfahren bereits unmittelbar mit dem Erbfall eröffnet worden bzw. als hätten sich Nachlass und Erbeneigenvermögen nie vereinigt.
Rz. 114
Massegläubiger müssen ihre Forderungen nicht in einem formalisierten Verfahren anmelden bzw. feststellen lassen, sondern müssen diese in der im normalen Geschäftsverkehr üblichen Form (von sich aus) geltend machen. Für bestimmte Masseverbindlichkeiten, sog. oktroyierte Masseverbindlichkeiten, zu denen insbesondere die in § 324 Abs. 1 InsO genannten zählen, gilt gem. § 90 InsO in den ersten sechs Monaten des Insolvenzverfahrens ein besonderes Vollstreckungsverbot. Die Norm soll dem Insolvenzverwalter zum einen eine hinreichende Überlegens- und Prüffrist im Hinblick auf eine ggf. nach § 208 InsO anzuzeigende (drohende) Masseunzulänglichkeit sowie zum anderen ausreichend Zeit für masse- bzw. liquiditätsbildende Verwertungsmaßnahmen geben.
Rz. 115
Anders als Insolvenzforderungen sind Masseverbindlichkeiten grundsätzlich nicht quotal, sondern vollumfänglich aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Masse nicht ausreicht, um sämtliche Masseverbindlichkeiten voll zu befriedigen. Diesen Umstand hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht unverzüglich anzuzeigen, vgl. § 208 InsO. Dann gilt die Befriedigungsreihenfolge des § 209 Abs. 1 InsO. Hieraus ergibt sich, dass die Kosten des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 54 InsO absoluten Vorrang genießen mit der Folge, dass sonstige Masseverbindlichkeiten ggf. nur bzw. erst dann (quotal) zu befriedigen sind, wenn die Verfahrenskosten zu 100 % befriedigt sind (zur Masseunzulänglichkeit ausführlich Rdn 166 ff.).
Rz. 116
Stellt sich während des Verfahrens heraus, dass die Masse unzulänglich ist, ist die Vollstreckung einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO ab dem Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter unzulässig, § 210 InsO.