Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 166
Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Insolvenzmasse zwar ausreicht, um die Verfahrenskosten zu decken, nicht jedoch die sonstigen Masseverbindlichkeiten. Zeigt sich im Laufe des Insolvenzverfahrens, dass die vorhandene Insolvenzmasse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um neben den absolut vorrangigen Verfahrenskosten (§ 54 InsO) auch alle sonstigen Masseverbindlichkeiten zu decken, hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht gem. § 208 InsO die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen. Die Anzeigepflicht gilt nach § 208 Abs. 1 S. 1 InsO für bereits fällige Masseverbindlichkeiten, nach S. 2 aber auch dann, wenn die Masse voraussichtlich nicht ausreichen wird, um künftig fällig werdende Verbindlichkeiten zu erfüllen (sog. drohende Masseunzulänglichkeit).
Rz. 167
Sinn und Zweck der §§ 208 ff. InsO ist es, die Handlungsfähigkeit des Insolvenzverwalters bei Masseunzulänglichkeit aufrecht zu erhalten. Mit Blick auf die persönliche Haftung nach § 61 InsO wäre er ohne die Privilegierung der Neumassegläubiger nach Eintritt der Masseunzulänglichkeit nicht mehr in der Lage, neue Masseverbindlichkeiten ohne (anteilige) persönliche Haftung zu begründen, mit der Folge, dass er der – der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens geschuldeten – gesetzlichen Pflicht zur Fortsetzung der Masseverwaltung und -verwertung gem. § 208 Abs. 3 InsO nicht mehr nachkommen könnte, ohne sich selbst persönlich haftbar zu machen. Letzteres wäre dem Insolvenzverwalter in der Regel nicht zumutbar und auch nicht angemessen, zumal der Eintritt der Masseunzulänglichkeit oftmals auf solche Masseverbindlichkeiten zurückzuführen ist, die außerhalb der Einfluss- und damit auch Verantwortungssphäre des Insolvenzverwalters liegen. § 90 InsO gewährt Vollstreckungsschutz nur bei sog. "oktroyierten" Masseverbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind und von ihm auch nicht verhindert werden konnten.
Rz. 168
Auch eine anfänglich bestehende (oder anfänglich drohende) Masseunzulänglichkeit hindert die Verfahrenseröffnung nicht, da es rechtspolitisch – namentlich im Interesse der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens – gewollt ist, auch (bereits anfänglich) masseunzulängliche Verfahren zu eröffnen und bis zur vollständigen Verwertung der Insolvenzmasse im Rahmen eines geordneten Verfahrens abzuwickeln. Demgemäß bleibt der Insolvenzverwalter auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit verpflichtet, die Insolvenzmasse weiter bestmöglich zu verwalten und zu verwerten, was in § 208 Abs. 3 InsO ausdrücklich normiert ist. Dies impliziert beispielsweise auch die Anhängigmachung neuer Aktivprozesse, wenn Anfechtungsansprüche zurückgewiesen werden oder andere streitige Masseforderungen nicht freiwillig erfüllt werden.
Rz. 169
Hinweis
In Nachlassinsolvenzen sind die §§ 208 ff. InsO von erheblicher praktischer Relevanz, da oftmals in erheblichem Umfang vom ersten Tag an Masseverbindlichkeiten gem. § 324 Abs. 1 InsO vorhanden sind. Insbesondere in Fällen, in denen die voraussichtlich zu bildende freie Masse die Verfahrenskosten (§ 54 InsO) nur knapp deckt, ergibt sich daraus oftmals eine bereits anfänglich drohende oder auch bereits anfänglich feststehende Masseunzulänglichkeit. Da für oktroyierte Masseverbindlichkeiten gem. § 90 InsO, zu denen auch jene des § 324 Abs. 1 InsO gehören, in den ersten sechs Monaten ein Vollstreckungsverbot gilt, muss der Verwalter in solchen Fällen aber nicht zwingend bereits am ersten Tag die Masseunzulänglichkeit anzeigen, sollte dies aber spätestens mit Ablauf der sechs Monate tun.
Rz. 170
Eine besondere Form oder Frist für die Anzeige ist nicht vorgesehen, mit der Folge, dass es im Ermessen des Insolvenzverwalters steht, wann und wie er das Insolvenzgericht informiert. Wartet der Insolvenzverwalter mit der Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu lange zu, kann er sich gegenüber Gläubigern, mit denen er im Zeitraum zwischen dem tatsächlichen Eintritt der Masseunzulänglichkeit und der Anzeige derselben kontrahiert hat, unter Umständen schadensersatzpflichtig nach § 60 InsO machen. Die Feststellung, ob die Voraussetzungen einer Masseunzulänglichkeit vorliegen, liegt allein in der Kompetenz des Insolvenzverwalters. Allerdings kann in einem Haftungsprozess das dort zuständige Gericht umfassend überprüfen, ob der Insolvenzverwalter zu Recht von Masseunzulänglichkeit ausging.
Rz. 171
Es besteht keine insolvenzspezifische Pflicht des Verwalters, im Interesse einzelner Gläubiger die Masseunzulänglichkeit schnellstmöglich anzuzeigen, damit nachfolgende Ansprüche als Neumasseschuld bevorzugt befriedigt werden.
Die Anzeigepflicht des Insolvenzverwalters besteht auch dann, wenn die Masseunzulänglich absehbar nur vorübergehender Natur sein wird, weil etwa Gegenstände noch nicht verwertet oder Anfechtungsansprüche noch nicht realisiert sind. § 208 Abs. 1 InsO stellt insoweit nur auf die Fälligkeit der Masseverbindlichkeiten und die fehlende Liquidität ab.
Rz. ...