Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 117
Nicht selten kommt es vor, dass ein (vorläufiger) Erbe, Testamentsvollstrecker oder Nachlasspfleger im Zeitraum zwischen Erbfall und Eröffnungsentscheidung einzelne Nachlassverbindlichkeiten befriedigt. Soweit er hierzu Nachlassmittel eingesetzt hat, handelt es sich um einen nachlassbilanziell neutralen Vorgang im Sinne einer Bilanzverkürzung, d.h. Nachlassaktiva und Nachlasspassiva schrumpfen in demselben Umfang, namentlich i.H.d. befriedigten Forderung. Folglich dürfen ggf. weder die zur Befriedigung eingesetzten Aktiva noch die befriedigte Verbindlichkeit bei der späteren Prüfung, ob in Ansehung des Nachlasses ein Insolvenzgrund vorliegt, berücksichtigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die nicht befriedigten Gläubiger die betreffende Einzelbefriedigung gem. § 1979 BGB nicht als für Rechnung des Nachlasses erfolgt gelten lassen müssen. Ein Verstoß gegen das bei erkennbarer Überschuldung greifende Auszahlungsverbot ändert nichts daran, dass die vorgenommene Befriedigung des betreffenden Einzelgläubigers – vorbehaltlich einer Insolvenzanfechtung nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO – wirksam bleibt. Zugunsten der (übrigen) Nachlassgläubiger entsteht ggf. zwar ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 1978 Abs. 1 i.V.m. §§ 1979, 677, 280 Abs. 1 BGB. Dieser Anspruch entsteht aber erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und darf deshalb i.R.d. Prüfung der Insolvenzgründe ebenfalls nicht berücksichtigt werden.
Rz. 118
Sonstige Masseverbindlichkeiten sind nach § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO Aufwendungen, die dem Erben nach den §§ 1978, 1979 BGB aus dem Nachlass zu ersetzen sind, insbesondere Aufwendungsersatzansprüche des Erben gem. § 1978 Abs. 3 BGB. Hierzu gehören auch solche, die durch die Befriedigung einzelner Nachlassverbindlichkeiten entstanden sind, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Nachlassgläubiger die Befriedigung gem. § 1979 BGB als für Rechnung des Nachlasses erfolgt gelten lassen müssen. Lagen die Voraussetzungen des § 1979 BGB bei Vornahme der Erfüllungshandlung nicht vor, handelt es sich bei dem Aufwendungsersatzanspruch um eine Insolvenzforderung, vgl. § 326 Abs. 2 InsO.
Rz. 119
§ 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfasst Aufwendungen des Alleinerben, von Miterben, Vorerben und Nacherben. Die Norm gilt nicht in den Fällen des § 2013 BGB, d.h. wenn der Erbe bereits allen Nachlassgläubigern gegenüber unbeschränkbar haftet, etwa, weil er ein vorsätzlich falsches Inventar errichtet hat.
Rz. 120
§ 1978 Abs. 3 BGB erfasst Aufwendungen des Erben, soweit dieser nach den Vorschriften über den Auftrag oder über die Geschäftsführung ohne Auftrag Ersatz verlangen könnte. Ein Entgelt für seine Tätigkeit kann der Erbe nicht fordern, da der Auftrag gem. § 662 BGB unentgeltliches Geschäft ist. Etwas anderes gilt gem. § 1835 Abs. 3 BGB analog, wenn der Erbe eine Tätigkeit verrichtet, die er sonst beruflich ausübt.
Ist der Fiskus Erbe, sind seine Verwaltungskosten Aufwendungen i.S.d. § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO, denn die Fiskalerbschaftssachbearbeiter wickeln die Fiskalerbschaft berufsmäßig ab.
Rz. 121
Begründet der Erbe im Rahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung eine Verbindlichkeit, für deren Erfüllung er nach allgemeinen Grundsätzen auch persönlich haftet ("Nachlasserbenschuld") und deren Eingehung im objektiven Interesse des Nachlasses lag, hat er einen Freistellungsanspruch gem. § 1978 Abs. 3 BGB i.V.m. §§ 670, 257 BGB, der aufgrund von § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO ebenfalls eine Masseverbindlichkeit ist.
Keine Massegläubiger gem. § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Nichterben sowie ehemalige vorläufige Erben, die die Erbschaft ausgeschlagen haben, auch wenn sie vor oder nach der Ausschlagung Aufwendungen auf den Nachlass getätigt haben.
Rz. 122
Praxistipp
Mit Blick auf § 324 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist es für den Erben in aller Regel wirtschaftlich besser, eine überschuldete Erbschaft anzunehmen und zur Haftungsvermeidung alsbald darauf Insolvenzantrag zu stellen als diese auszuschlagen, jedenfalls dann, wenn bereits Aufwendungen auf den Nachlass aus dem Erbeneigenvermögen getätigt wurden.
Rz. 123
Ebenso sind keine Nachlassverbindlichkeiten solche, die durch einen unrechtmäßigen Erbschaftsbesitzer begründet wurden. Befriedigt ein vorläufiger Erbe einzelne Nachlassverbindlichkeiten aus Eigenmitteln, erwächst ihm daraus gem. § 1959 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 681, 670 BGB ein Aufwendungsersatzanspruch gegen den Nachlass. Bei der Prüfung von Insolvenzgründen ist in einem solchen Fall anstelle der befriedigten Nachlassverbindlichkeit dieser Aufwendungsersatzanspruch zu passivieren.
Rz. 124
Soweit der (endgültige) Erbe eine Nachlassverbindlichkeit aus Eigenmitteln befriedigt oder in sonstiger Weise Eigenvermögen zur Sicherung, Erhaltung oder Verbesserung des Nachlasses bzw. einzelner Gegenstände einsetzt, begründet dies zwar gem. § 1978 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 677, 681, 670 BGB in entsprechender Weise Aufwendungsersatzansprüche. Diese entstehen jedoch erst mit der rechtlichen Separation des Nachlasses durch Eröffnung des Ins...