Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 29
Zwischen dem Zeitpunkt des Erbfalls und der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens liegen zumeist mehrere Monate, häufig sogar Jahre. In dieser Zeit eintretende Veränderungen des Nachlassbestandes oder Schwankungen des Nachlasswertes haben die Gläubiger hinzunehmen, weil – wie oben gezeigt – der Insolvenzbeschlag zum Stichtag der Verfahrenseröffnung wirkt und die Nachlassgegenstände in ihrer aktuellen Beschaffenheit und mit ihrem aktuellen Wert Teil der Insolvenzmasse werden. Insbesondere bei Aktien oder Immobilien können erhebliche Wertveränderungen nach oben oder nach unten eintreten.
1. Wertverlust durch aktives Handeln
Rz. 30
Wurde die Veränderung des Nachlassbestandes durch eine aktive Handlung des Erben herbeigeführt, sieht das BGB einige Fälle vor, in denen die erbrechtliche Besonderheit einer dinglichen Surrogation bewirkt, dass der Wert des Sondervermögens "Nachlass" im Interesse der Nachlassgläubiger erhalten bleibt. Dies gilt namentlich für den Erwerb des Erbschafts(fremd)besitzers mit Mitteln des Nachlasses gemäß § 2019 BGB sowie bei der Erbengemeinschaft und bei der Vor- und Nacherbschaft als Gegenleistung im Rahmen von Veräußerungsgeschäften oder als Ersatz für die Zerstörung oder Beschädigung gemäß § 2041 BGB bzw. § 2111 BGB. Nach diesen Vorschriften tritt eine unmittelbare Ersetzung des weggegebenen bzw. zerstörten Nachlassgegenstandes ein, wodurch die Surrogate, die dem Nachlass nachträglich zugefallen sind, unmittelbar in den Nachlass fallen und im Insolvenzverfahren Teil der Insolvenzmasse werden.
Rz. 31
Die vorgenannten Regelungen sind abschließend und nicht auf andere Konstellationen übertragbar. Lediglich im Bereich der Testamentsvollstreckung nahm der BGH eine "Mittelsurrogation" bzw. "Ersatzsurrogation" an und wandte die §§ 2019, 2041 BGB analog an. Dagegen scheiden Gegenstände, die der Erbe im Zeitraum zwischen Erbfall und Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert oder anderweitig aus dem Nachlass abverfügt hat, endgültig aus dem Nachlass aus und gelangen nicht in die Insolvenzmasse. Eine dingliche Surrogation findet im Insolvenzverfahren nicht statt.
Rz. 32
In Fällen von Alleinerbschaft (ohne Testamentsvollstreckung) findet nach ganz h.M. keine dingliche Surrogation statt, außer für solche Surrogate, die zufällig, d.h. ohne Zutun des Erben, in den Nachlass gefallen sind (siehe Rdn 39 ff.).
Zieht der Erbe zum Nachlass gehörende Forderungen ein, wird die empfangene Leistung aber – außerhalb des Anwendungsbereiches der §§ 2019, 2041, 2111 BGB – nur dann Nachlassbestandteil, wenn der Alleinerbe diese erkennbar dem Nachlassvermögen zufügt, etwa indem er Forderungen auf ein nach wie vor auf den Erblasser lautendes Nachlasskonto einzieht. Soweit er dem Nachlass als solchem zustehende Ansprüche auf ein auf sich selbst lautendes Eigenkonto ohne Nachlasszusatz einzieht, werden die betreffenden Mittel dort regelmäßig Eigenvermögen des Erben.
Rz. 33
Gegenstände bzw. Ansprüche (auch Forderungen), die ein Alleinerbe durch Rechtsgeschäft erwirbt bzw. begründet, werden grundsätzlich nicht Nachlassbestandteil, auch wenn sie mit Nachlassmitteln erworben werden bzw. aus Nachlassmitteln zu erfüllen sind, da in diesen Fällen eine dingliche Surrogation gerade nicht stattfindet, es sei denn der Erbe erwirbt ausdrücklich und für den anderen Teil erkennbar ausschließlich für den Nachlass und separiert die solchermaßen erworbenen Gegenstände durchgängig und für Außenstehende erkennbar von seinem Eigenvermögen. Abgesehen von diesen Ausnahmefällen werden somit Anschaffungen, die der Alleinerbe mit Mitteln des Nachlasses getätigt hat, nicht Teil des Nachlasses. Ebenso fällt der Anspruch auf die Gegenleistung nicht in den Nachlass. Erfolgte die Veräußerung eines Nachlassgegenstandes unter Wert, muss der Erbe jedoch den Mindererlös an die Insolvenzmasse ausgleichen.
Nutzungen und Früchte, die aus einzelnen Nachlassgegenständen gezogen werden, werden – vorbehaltlich §§ 2019, 2041, 2111 BGB – ebenfalls nur dann Nachlassbestandteile, wenn sie für Außenstehende erkennbar dem Nachlass zugefügt werden.
Rz. 34
Nach alldem steht es weitgehend in dem Belieben des (Allein-)Erben, den relevanten Aktivnachlass durch bewusste Umschichtung von Nachlassgegenständen in sein Eigenvermögen bzw. Vermischungen beider Vermögenssphären zu dezimieren. Es ist daher verschiedentlich versucht worden, die in den §§ 2019, 2041, 2111 BGB angeordnete dingliche Surrogation zu einem allgemeinen Prinzip zu erheben und auf Fälle von Alleinerbschaft zu erweitern. Solche Versuche waren jedoch mangels methodologisch relevanter Regelungslücke von vornherein untauglich. Denn der Gesetzgeber hat die Problematik wohl gesehen und mit § 1978 Abs. 1 BGB i.V.m. § 677 BGB taugliche Instrumente für einen angemessenen wirtschaftlichen Ausgleich für solche Masseschmälerungen geschaffen. Danach muss der Erbe alles, was er selbst – in welcher Form auch immer – aus der Erbschaft erlangt hat, einschließlich gezogener Nutzungen, an den Insolvenzverwalter herausgeben.