Dr. Mario Nöll, Gabriela Hack
Rz. 151
Gemäß § 45 Abs. 1 S. 1 AO gehen die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis des Erblassers im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Erben über. Nach Abs. 2 der Vorschrift haftet der Erbe für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des BGB über die Erbenhaftung. Von praktischer Relevanz ist insbesondere die Frage, wie Einkommen- und Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die nach dem Erbfall aus der Nutzung oder Veräußerung nachlasszugehöriger Gegenstände durch den Erben resultieren, zu behandeln sind. Klar ist, dass Steuersubjekt jeweils der Erbe und, mangels Rechtsfähigkeit, nicht der Nachlass als solcher ist. Damit ist jedoch nichts über die rechtliche Einordnung der Verbindlichkeiten als Nachlass- oder Erbeneigenverbindlichkeit gesagt.
Rz. 152
In Bezug auf Einkommen- und Umsatzsteuerverbindlichkeiten differenzierte der BFH in der Vergangenheit danach, ob diese durch Handlungen des Erben oder aber ohne dessen Zutun angefallen sind. War der jeweilige Steuerentstehungstatbestand bereits durch den Erblasser vollständig verwirklicht oder zumindest noch zu dessen Lebzeiten unvermeidlich in Gang gesetzt worden, so lag nach der Auffassung des BFH eine Nachlassverbindlichkeit vor. Anderenfalls handelte es sich um Eigenschulden des Erben bzw. Nachlasserbenschulden, also solche, für die neben dem Nachlass auch der Erbe mit seinem Eigenvermögen haftete mit der Folge, dass der Erbe solche Verbindlichkeiten nicht mittels der §§ 1975 ff. BGB auf den Nachlass beschränken konnte.
Rz. 153
Nach geänderter Rechtsauffassung des BFH im Jahr 2016 kommt es nun für die Anwendung des § 45 Abs. 2 AO i.V.m. § 1975 BGB allein darauf an, ob zivilrechtlich eine Nachlassforderung vorliegt. Dass der Nachlass als solcher weder Einkommensteuer- noch Körperschaftsteuersubjekt ist, sondern allein der Erbe den steuerrechtlichen Tatbestand der Einkünfteerzielung verwirklichen kann, führt nicht zur Ablehnung einer Nachlassverbindlichkeit. Aus § 45 Abs. 2 S. 1 AO ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine Besserstellung des Fiskus. Vielmehr folgt aus dieser Vorschrift, dass die für den Erben in § 1975 BGB geregelten Schutzmöglichkeiten in vollem Umfang auch gegenüber dem Fiskus gelten müssen. Danach haften Erben zwar auch für Nachlassverbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt (§ 1967 Abs. 1 BGB). Im Fall der Anordnung der Nachlassverwaltung (Nachlasspflegschaft zum Zweck der Befriedigung der Nachlassgläubiger) ist ihre Haftung für Nachlassverbindlichkeiten allerdings auf den Nachlass beschränkbar (§ 1975 BGB).
Somit sind sämtliche Einkommens- und Umsatzsteuerschulden, die im Rahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung entstehen, als Nachlassverbindlichkeiten zu qualifizieren.
Hinweis
Mit der Einordnung einer Verbindlichkeit als Nachlassschuld ist nur gesagt, dass sie dementsprechend bei der Prüfung des Vorliegens von Insolvenzgründen zu passivieren ist. Damit ist aber noch nichts über die insolvenzrechtliche Einordnung als Insolvenzforderung, nachrangige Insolvenzforderung oder Masseverbindlichkeit gesagt.
Rz. 154
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können gegen den Insolvenzverwalter nur festgesetzt werden, wenn sie Masseverbindlichkeiten und keine Insolvenzforderungen sind.
Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die Insolvenzforderungen betreffen, nicht mehr ergehen. Das folgt aus dem in § 251 Abs. 2 S. 1 AO normierten Grundsatz, wonach Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend gemacht werden dürfen. Diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind zur Insolvenztabelle anzumelden.
Rz. 155
Insolvenzforderungen sind Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren (vgl. § 38 InsO). Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an.
Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO); diese sind vom Verwalter vorweg aus der Insolvenzmasse zu befriedigen.
Hinweis
Ergeht ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist dieser unwirksam. Hiergegen sollte der Insolvenzverwalter Einspruch einlegen und verlangen, dass die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet wird. Das Finanzamt sollte zudem aufgefordert werden, die Insolvenzforderungen anhand des Stichtages der Verfahrenseröffnung von den Masseverbindlichkeiten abzugrenzen.
Rz. 156
Überlässt der Insolvenzverwalter dem absonderungsberechtigten Gläubiger die der Masse zug...