Rz. 1

Die Interessenkollision ist eines der Themen, das die Rechtsanwaltskammern sehr häufig beschäftigt. Rechtsanwälte fragen in eigener Sache an, ob aus Sicht der Kammer eine Interessenkollision gegeben ist. Es werden aber auch regelmäßig Beschwerden über Kollegen erhoben, die trotz einer Interessenkollision tätig werden; teilweise wird die Beschwerde über eine vermeintliche Interessenkollision auch zu dem Versuch missbraucht, einen unliebsamen Kollegen aus dem Prozess zu drängen.

 

Rz. 2

In der Praxis kommt es zudem – sei es aus Unerfahrenheit oder wegen mangelnder Rechtskenntnis – immer wieder vor, dass problematische Konstellationen und das daraus resultierende Tätigkeitsverbot des Rechtsanwalts nicht erkannt werden, obwohl dieses mehrfach geregelt ist: Denn es geht nicht nur um Verstöße gegen Berufsrecht (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA), sondern auch um eine Strafbarkeit gemäß § 356 StGB.

I. Strafrechtliches Tätigkeitsverbot

 

Rz. 3

Strafrechtlich liegt ein Parteiverrat gemäß § 356 StGB vor, wenn der Rechtsanwalt bei der ihm in seiner Anwaltseigenschaft anvertrauten Angelegenheit in derselben Rechtssache verschiedenen Parteien durch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. Häufig wird – leider irrig – angenommen, dass die Einwilligung der Parteien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 356 StGB ausschließt. Bei § 356 StGB handelt es sich jedoch um ein so genanntes Rechtspflegedelikt,[1] durch dessen Sanktion die Ordnungsmäßigkeit der anwaltlichen Berufsausübung sichergestellt werden soll; erst in zweiter Linie geht es um die Rechte der tatsächlich betroffenen Beteiligten.

[1] BGHSt 3, 400.

II. Berufsrechtliches Tätigkeitsverbot

 

Rz. 4

Berufsrechtlich darf der Rechtsanwalt gemäß § 43a Abs. 4 BRAO keine widerstreitenden Interessen vertreten. In § 3 Abs. 1 S. 1 BORA ist überdies geregelt, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war.

 

Rz. 5

Eine (Vor-)Befassung liegt nach § 45 Abs. 1 BRAO vor, wenn der Anwalt in derselben Sache als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt, Angehöriger des öffentlichen Dienstes, Notar oder Notarvertreter bereits tätig geworden ist, wenn er als Notar oder Notarvertreter eine Urkunde aufgenommen hat, deren Rechtsbestand oder Auslegung streitig ist oder die Vollstreckung aus ihr betrieben wird, darüber hinaus, wenn er gegen den Träger des von ihm verwalteten Vermögens vorgehen soll, in allen Angelegenheiten, mit denen er als Konkursverwalter, Vergleichsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion bereits befasst war und schließlich auch dann, wenn er in derselben Angelegenheit außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO bereits beruflich tätig war, wobei dies nicht gilt, wenn die berufliche Tätigkeit beendet ist.

 

Rz. 6

Nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 BRAO darf der Anwalt nicht als Insolvenzverwalter, Konkursverwalter, Vergleichsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker, Betreuer oder in ähnlicher Funktion tätig werden, wenn er bereits als Rechtsanwalt gegen den Träger des zu verwaltenden Vermögens tätig war. Ferner ist es ihm gem. § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO untersagt, in Angelegenheiten, mit denen er bereits als Rechtsanwalt befasst war, außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einer sonstigen Tätigkeit i.S.d. § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO beruflich tätig zu werden. Gegen § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO bestehen allerdings im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Bedenken;[2] dies gilt zumal § 59a Abs. 1 S. 1 BRAO durch das Bundesverfassungsgericht teilweise für unvereinbar und nichtig erklärt wurde, nämlich soweit Rechtsanwälten untersagt wird, sich mit Ärzten und Apothekern zur Ausübung ihrer Berufe zu einer Partnerschaftsgesellschaft zusammenzuschließen.[3]

 

Rz. 7

Das berufsrechtliche Tätigkeitsverbot des Rechtsanwalts wurde mit dem mit Wirkung zum 1.1.2015 eingeführten § 3 Abs. 1 S. 2 BORA erweitert. Danach darf der Rechtsanwalt in einem laufenden Mandat keine Vermögenswerte von dem Mandanten und/oder dem Anspruchsgegner zum Zweck der treuhänderischen Verwaltung oder Verwahrung für beide Parteien entgegennehmen. Bedeutung erlangt diese Norm auch bei erbrechtlichen (Amts-)Treuhandschaften.[4]

[2] Vgl. Feuerich/Weyland, § 45 BRAO Rn 37 a.E. m.w.N.
[3] BVerfG NJW 2016, 700. Vgl. beispielhaft auch OLG Karlsruhe NJW-RR 2016, 701, wonach es in restriktiver Auslegung von § 45 Abs. 2 Nr. 2 BRAO einem Rechtsanwalt auch dann nicht verboten ist, vergütungspflichtige Outplacement-Dienstleistungen für seinen Mandanten zu erbringen, wenn der Anwalt in der vorausgegangenen arbeitsgerichtlichen Vertretung selbst dafür gesorgt hat, dass der frühere Arbeitgeber in einer Abfindungsvereinbarung die Kosten der Outplacement-Beratung übernimmt.
[4] Vgl. Nöll, ZEV 2015, 189 zu verschiedenen erbrechtlichen Fallkonstellationen.

III. Bezug von Berufsrecht zu Strafrecht

 

Rz. 8

Sowohl der Parteiverrat gemäß § 356 StGB als auch die Interessenkollisi...

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