Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 22
Oftmals wird der Anwalt im Rahmen einer Erbauseinandersetzung von mehreren Miterben gleichzeitig beauftragt. Auch wenn in einer Erbengemeinschaft durchaus Einigkeit über die Art und Weise der Auseinandersetzung bestehen kann – gerade wenn es sich um keine besonders großen Vermögenswerte handelt oder wenn sich zwei Geschwister in der Erbengemeinschaft befinden, die sich gut verstehen –, besteht dennoch oft das Risiko, dass es über einen Punkt – eventuell kurz vor Beendigung der Auseinandersetzung – doch zu Unstimmigkeiten zwischen den Erben kommt, die sodann vielfältige Interessengegensätze zur Folge haben können.
Rz. 23
Kommt es beispielsweise nach den §§ 2050 ff. BGB zur Ausgleichung von Vorempfängen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass ein Interessenkonflikt vorliegt. Dies kann nur dann mit einiger Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn die Abkömmlinge mit der Ausgleichung und der Bewertung der Höhe ihrer Vorempfänge von Anfang an einverstanden und diesbezüglich nie Unstimmigkeiten oder gar Streitigkeiten zu erkennen waren. Unterschiedliche Auffassungen liegen auch bei Vorausvermächtnissen und Teilungsanordnungen nahe sowie dann, wenn für einen Miterben Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2325 BGB) in Betracht kommen. Um in der Praxis vor unvorhergesehenen Meinungswechseln – selbst wenn diese nur hinsichtlich der Kostenfrage bestehen – und somit gegen das "nachträgliche" Entstehen von Interessenkollisionen gewappnet zu sein, sollte sich der Anwalt möglichst frühzeitig ganz bewusst entscheiden, ob er nicht besser nur einen der Beteiligten als Mandant vertritt, da er ansonsten gezwungen sein könnte, bei Aufdeckung der Interessenkollision beide Mandate zu beenden.
Rz. 24
So sah das BayObLG den Tatbestand des Parteiverrats durch einen Rechtsanwalt, der zwei Miterben vertrat, als verwirklicht an, weil einer der Auftraggeber nach Annahme des Mandats seine Meinung änderte und nicht wie ursprünglich vereinbart lediglich das Ausscheiden eines dritten Miterben aus der Erbengemeinschaft verhindern wollte, sondern die vollständige Auseinandersetzung begehrte.
Rz. 25
In einem weiteren Fall bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung einer örtlichen Rechtsanwaltskammer. Diese hatte einen Anwalt gerügt, der anlässlich der Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft zwei Brüder gegen ihre Schwester vertrat. Da es sich hierbei um gleichgerichtete Interessen der Brüder handelte, war das noch in Ordnung. Nach Auszahlung der Schwester kam es dann aber zu Streit unter den Brüdern. In der Folge vertrat der Rechtsanwalt einen der Brüder gegen den anderen. Dies stellte die Vertretung widerstreitender Interessen dar.
Rz. 26
Hinweis
Dem Anwalt ist zu raten, nur einen Miterben zu vertreten und andere Miterben an Kollegen zu verweisen. Im Zweifel handeln Kollegen in einem gleich gelagerten Fall entsprechend. Vertritt der Anwalt mehrere Miterben, muss er sie umfassend darüber informieren, dass er keine gegensätzlichen Interessen vertreten wird. Bei einem nachträglichen Entstehen eines Interessenkonflikts unter diesen Miterben muss der Rechtsanwalt das Mandat insgesamt niederlegen.