Dr. iur. Sebastian Müller
Rz. 14
Handelt es sich um dieselbe Rechtssache, ist weiter zu prüfen, ob der Rechtsanwalt in widerstreitenden Interessen tätig ist. Das ist dann der Fall, wenn der Vorteil des einen Mandanten zugleich der Nachteil des anderen ist. Gemäß § 3 Abs. 2 BORA gilt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen auch für alle Rechtsanwälte, die in der Sozietät bzw. Berufsausübungsgemeinschaft des fraglichen Rechtsanwalts tätig sind.
Nach wie vor ist es umstritten, ob das Tatbestandsmerkmal des widerstreitenden Interesses rein objektiv zu bestimmen ist – also aus der Sicht eines objektiven Dritten – oder auch subjektive Standpunkte der Mandanten zu berücksichtigen sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Sozietätswechsler-Entscheidung klar auf den subjektiven Willen des Mandanten abgestellt. Jedoch weist das Bundesverfassungsgericht ebenso darauf hin, dass § 43a Abs. 4 BRAO die Unabhängigkeit und Gradlinigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie das Vertrauensverhältnis zum Mandanten schützt und diese Schutzgüter nicht zur Disposition der Parteien stehen.
Rz. 15
Für eine objektive Bestimmung hat sich der BGH ausgesprochen. Das bedeutet, dass das – vorherige wie nachträgliche – Einverständnis der Mandanten grundsätzlich nicht geeignet ist, das Tätigkeitsverbot zu beseitigen.
Allerdings hat der BGH im gleichen Zug entschieden, dass die Frage, ob eine Interessenkollision vorliegt, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist. Das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt verstößt gegen das Übermaßverbot. Maßgeblich ist also, ob der typisierte Interessengegensatz im konkreten Fall aus Sicht eines objektiven Dritten tatsächlich auftritt. Seine Rechtsprechung hat der BGH bestätigt und nochmals darauf hingewiesen, dass insbesondere eine Mandatsbeschränkung zu einem nur noch latent vorhandenen und damit unschädlichen Interessenkonflikt führen kann.
Rz. 16
Mittels dieser konkret objektiven Betrachtungsweise können auch diejenigen Fälle angemessen gelöst werden, in denen der Rechtsanwalt gleichgerichtete Interessen mehrerer Mandanten vertritt, die miteinander nicht in Konkurrenz stehen. Bei der gebotenen konkret objektiven Betrachtung liegt dann ein Interessenkonflikt nicht vor.
Rz. 17
Zu beachten ist auch, dass das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen jeden einzelnen Angehörigen einer Sozietät trifft. Gleiches gilt auch, wenn sich der Anwalt in sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit Kollegen oder Angehörigen anderer Berufsgruppen verbunden hat, und zwar selbst dann, wenn die Sozietät oder anderweitige Verbindung nicht mehr besteht. Dies bedeutet, dass nicht nur der persönlich betroffene Anwalt das Mandat wegen einer eventuellen Interessenkollision ablehnen oder niederlegen muss, vielmehr ist auch eine Fortführung der Angelegenheit durch ein anderes Sozietätsmitglied unzulässig. Entsprechendes gilt für den Fall, dass der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungsgemeinschaft zu einer anderen wechselt (§ 3 Abs. 3 BORA).
Rz. 18
Allerdings ist für all diese Fälle in § 3 Abs. 2 S. 2 BORA expressis verbis geregelt, dass das Einverständnis des Mandanten das Tätigkeitsverbot entfallen lassen kann. Danach gilt das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen für Anwälte innerhalb einer Sozietät ausnahmsweise nicht, wenn die Mandanten sich nach umfassender Information damit einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen. Information und Einverständniserklärung sollen dabei in Textform erfolgen.
Rz. 19
Hinweis
Die Interessenkollision führt zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrages, mit der Folge, dass der Anwalt seinen Vergütungsanspruch und auch evtl. Aufwendungsersatzansprüche verliert. Einem bereicherungsrechtlichen Wertersatzanspruch wird in der Regel § 817 S. 2 BGB entgegenstehen. Verfahrensrechtlich kann der Rechtsanwalt jedoch nicht in entsprechender Anwendung des § 156 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden.