Rz. 76
Die Erfüllung des Vermächtnisanspruchs, sei es durch den Erben, sei es durch die Miterben oder durch einen (Ober-)Vermächtnisnehmer (vgl. § 2147 S. 1 BGB), kann der beschränkt geschäftsfähige Minderjährige – nach der hier vertretenen Ansicht – selbst entgegennehmen. Nach der h.M. kann er den Vermächtnisgegenstand nur dann mit befreiender Wirkung von dem Beschwerten entgegennehmen, wenn er die sog. Empfangszuständigkeit hat.
Für den geschäftsunfähigen Minderjährigen handelt bei der Entgegennahme des Vermächtnisses der gesetzlicher Vertreter. Dem geschäftsbeschränkten Minderjährigen spricht die h.M. die Empfangszuständigkeit ab: Wird der geschuldete Gegenstand auf den Geschäftsbeschränkten übertragen, so erwirbt dieser zwar das entsprechende Recht, z.B. das Eigentum gemäß § 929 BGB an der vermachten Sache, weil ihm der Eigentumserwerb einen rechtlichen Vorteil bringt (§ 107 BGB). Der Vermächtnisanspruch erlischt aber – nach dieser Ansicht – nicht. Dazu soll es der Einwilligung oder Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zur Annahme der Leistung bedürfen. Die vorherige oder nachträgliche Zustimmung kann auch stillschweigend erfolgen. Nach der hier bevorzugten gegenteiligen Ansicht wird der geschäftsbeschränkte Minderjährige nicht nur Eigentümer der vermachten Sache, sondern der Vermächtnisanspruch erlischt auch grundsätzlich durch Erfüllung (§ 362 BGB), weil das für den Geschäftsbeschränkten nur rechtlich vorteilhaft ist.
Rz. 77
Die Frage einer familiengerichtlichen Genehmigung stellt sich nicht beim Anfall des Vermächtnisses, da dies von Gesetzes wegen geschieht (§ 2174 BGB). Die Frage stellt sich auch nicht bei der Annahme des Vermächtnisses, weil diese vom Gesetz nicht unter Genehmigungsvorbehalt gestellt ist. Sie stellt sich dort, wo der (abstrakte) Erfüllungsvertrag einer Genehmigungspflicht unterworfen ist. Einschlägig sind hier §§ 1812, 1821, 1822 BGB.
Ist dem Minderjährigen z.B. eine gesellschaftliche Beteiligung an einer OHG vermacht, so bedarf es eines Vertrags zur Aufnahme in die Gesellschaft (siehe Rdn 184 ff.), so dass § 1822 Nr. 3 BGB einschlägig ist.
Rz. 78
Richtet sich der Vermächtnisanspruch gegen einen Elternteil des Minderjährigen, z.B. den Vater als Erbe, so steht der Erfüllung des Anspruchs des Kindes durch den Elternteil das Verbot des In-Sich-Geschäfts nach § 181 BGB nicht entgegen, denn es handelt sich nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung um die "Erfüllung einer Verbindlichkeit", nämlich der Erfüllung des Vermächtnisanspruchs (§ 2174 BGB). Entsprechendes gilt für § 1795 Nr. 1 BGB. Es bedarf nicht der Bestellung eines Ergänzungspflegers.
Aber in der Rechtsprechung wurde teilweise bei der Erörterung des § 181 BGB nicht nur auf die "Erfüllung einer Verbindlichkeit" abgestellt, sondern zusätzlich der rechtliche Vorteil (§ 107 BGB) gefordert, der für den Minderjährigen gegeben sein muss, damit das In-Sich-Geschäft des gesetzlichen Vertreters zulässig ist. Man sieht dort das Erfüllungsgeschäft nicht als rechtlich vorteilhaft an, wo es mit rechtlichen Verpflichtungen verbunden ist. In Betracht kommen insbesondere Untervermächtnisse, bei Grundstücken damit verbundene Mietverhältnisse, Handelsgeschäfte mit der damit verbundenen Haftung.
Diese Ansicht will – gegen den erklärten Gesetzeswortlaut – dem Schutz des Minderjährigen fördern. Der Auslegung der §§ 1821, 1822 BGB gegen den Wortlaut unter dem Deckmantel der Analogie zum Zwecke des Schutzes des Minderjährigen wurde bereits Einhalt geboten. Das muss auch bei § 181 BGB ("Erfüllung") so sein. Der Schutz des Minderjährigen wird heute weder durch eine Analogie der §§ 1821, 1822 BGB noch durch die aufgezeigte zweckgerichtete Auslegung erreicht, sondern dieser wird durch § 1629a BGB (Minderjährigenhaftungsbeschränkung) hinreichend gewährleistet (siehe Rdn 435 ff.). Ferner sind die Eltern gegebenenfalls nach § 1664 BGB zum Schadensersatz verpflichtet.