Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
Rz. 19
Hat der deutsche Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat, so muss er überlegen, ob er nach dem Recht des Aufenthaltsstaats oder seinem Heimatrecht beerbt werden will. Das Recht des Staates des jetzigen gewöhnlichen Aufenthalts kann er nicht wählen, sodass sich ohne Rechtswahl das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht jeweils ändert, sofern der gewöhnliche Aufenthalt verlegt wird.
Zu bedenken ist dabei, dass der Erblasser zwar auch später grundsätzlich nach einer – vielleicht aus heutiger Sicht noch nicht absehbaren oder unwahrscheinlichen – Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts durch dann vorzunehmende Rechtswahl (des Heimatrechts) reagieren kann; da die Rechtswahl aber in Form einer Verfügung von Todes wegen zu erfolgen hat, kann Erblasser die Möglichkeit der Rechtswahl zukünftig möglicherweise nicht mehr nutzen, z.B. wenn er etwa nicht mehr testierfähig ist.
Rz. 20
Will der Erblasser zuverlässig die Möglichkeit ausschließen, dass sich das anwendbare Recht ändert, bleibt ihm nur die Möglichkeit, vorsorglich (und so bald als möglich) sein Heimatrecht zu wählen.
Deutsches Recht sollte auch in den Fällen gewählt werden, in denen der Erblasser – über die bloße Rechtswahl des auf die Rechtsnachfolge anwendbaren Recht hinaus – Verfügungen von Todes wegen nach deutschem Recht errichten will, damit das auf die Rechtsnachfolge anwendbare Recht und das Recht, dem die Zulässigkeit und die materielle Wirksamkeit der Verfügung von Todes wegen unterstehen, identisch sind. Denn ansonsten – wenn die Rechte auseinanderfallen – muss das anwendbare Erbrecht (also das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt, sofern es an einer Rechtswahl nach Art. 22 fehlt) die sich aus der "fremdrechtlichen" Verfügung von Todes wegen ergebenden Institute umsetzen. Das kann erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen kann, etwa wenn im "deutschen" Testament Nacherbfolge angeordnet ist, dem anwendbaren Erbrecht diese Figur aber gar nicht bekannt ist. In diesen Fällen kann ex ante keine zuverlässige Prognose darüber erfolgen, wie sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen dann tatsächlich gestalten wird.
Rz. 21
Zwar wird in solchen Fällen, in denen der Erblasser Bestimmungen trifft, die nur nach deutschem Recht möglich sind, über Art. 22 Abs. 2 ErbVO regelmäßig eine konkludente Rechtswahl (auf deutsches Recht) angenommen werden können, aber wirkliche Sicherheit bietet auch in sofern nur eine ausdrückliche Rechtswahl des deutschen Rechts.
Muster 4.4: Formulierungsbeispiel für die umfassende Rechtswahl nach Art. 22 und 24 ErbVO
Muster 4.4: Formulierungsbeispiel für die umfassende Rechtswahl nach Art. 22 und 24 ErbVO
Ich besitze ausschließlich (bzw. auch) die deutsche Staatsangehörigkeit, habe aber meinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland, sondern in _________________________. Diesen will ich auch dauerhaft beibehalten, wähle aber für die Rechtsnachfolge von Todes wegen sowie für Fragen der Rechtswirksamkeit dieses Testaments deutsches Recht.
Der Notar hat mich darüber belehrt, dass sich die Rechtswahl auf das deutsche Erbrecht als Ganzes bezieht, insbesondere also auch auf die Bestimmungen über den Pflichtteil. Ich bin auch darüber belehrt worden, dass deutsches Recht auch für die Rechtsnachfolge in Nachlassgegenstände maßgeblich ist, die sich im Staat meines gewöhnlichen Aufenthalts befinden.
Der Notar hat mich auch darüber belehrt, dass das Erbrecht des Staates meines gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich ist, wenn ich die Rechtswahl des deutschen Rechts später widerrufe.
Der Notar hat mich darüber belehrt, dass er das dann maßgebliche ausländische Recht nicht kennt und nicht kennen muss und auch nicht verpflichtet ist, darüber zu belehren. Er hat mich über fremdes Recht nicht beraten oder belehrt.
Rz. 22
Die Internationale Zuständigkeit richtet sich nach Art. 4 ErbVO, grundsätzlich sind also nicht die deutschen Gerichte, sondern die Gerichte im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts zuständig (zur auch in Zukunft bestehenden Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Erteilung des Erbscheins – nicht des ENZ – nach deutschem Verfahrensrecht, §§ 105, 343 n.F. FamFG vgl. § 2 Rn 25).
Will der Erblasser erreichen, dass die deutschen Gerichte (über die Erteilung des Erbscheins hinaus, also auch für die Erteilung eines ENZ) generell international zuständig werden, muss er deutsches Recht wählen, und er muss die Erben zu einer Gerichtsstandsvereinbarung veranlassen. Nach den Bestimmungen der ErbVO hat der Erblasser aber keine Handhabe, die Erben zum Abschluss einer solchen Vereinbarung zu zwingen – vgl. Art. 5 ErbVO: die betroffenen Parteien können (nicht: müssen) eine solche Vereinbarung treffen.
Ein Zwang der beteiligten Erben zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung kann sich daher nicht aus der ErbVO ergeben, sondern allenfalls mit dem Instrumentarium des deutschen Rechts erzeugt werden. Zu denken ist an entsprechende Auflagen (§ 1940 BGB), eine solche Vereinbarung abzuschließen.
Rz. 23
Es ist auch möglich, den einzelnen Erben je...