Prof. Dr. Jutta Müller-Lukoschek
A. Prüfungs- und Belehrungspflichten des Notars bei Beurkundungen in grenzüberschreitenden Nachlasssachen
I. Die Pflicht zur Amtsausübung des Notars
Rz. 1
Gem. § 15 Abs. 1 BNotO darf der Notar seine Beurkundungstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund verweigern. Damit besteht die Pflicht zur Amtsausübung des Notars unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem gewöhnlichen Aufenthalt der Beteiligten. Auch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug besteht kein ausreichender Grund für den Notar, die Beurkundung zu verweigern. Vielmehr besteht die Urkundsgewährungspflicht insbesondere auch dann, wenn sich der Nachlass im Ausland befindet und wenn das kollisionsrechtlich berufene oder gewählte Sachrecht ausländisches Recht ist und der Notar dieses nicht kennt.
II. Prüfungs- und Belehrungspflichten (§ 17 BeurkG)
Rz. 2
§ 17 Abs. 3 BeurkG regelt diese Pflichten im Hinblick auf die Anwendbarkeit von ausländischem Recht.
Die Vorschrift lautet:
Zitat
Kommt ausländisches Recht zur Anwendung oder bestehen darüber Zweifel, so soll der Notar die Beteiligten darauf hinweisen und dies in der Niederschrift vermerken.
Zur Belehrung über den Inhalt ausländischer Rechtsordnungen ist er nicht verpflichtet.
Rz. 3
Der Notar muss einen objektiven Anlass haben, die Anwendbarkeit ausländischen Rechts in Betracht zu ziehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Beteiligten einen ausländischen Ausweis oder Pass vorlegen, und/oder erklären, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz im Ausland haben; aber auch schon dann, wenn sie erklären, dass sich Vermögensgegenstände im Ausland befinden. Ohne solche Merkmale soll der Notar nicht verpflichtet sein, allgemein nach einem Auslandsbezug zu fragen. Gerade im Hinblick auf die ErbVO erscheint diese Ansicht inzwischen zumindest zweifelhaft, denn auch bei scheinbar "reinen Inlandsachverhalten" besteht immer die Möglichkeit, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt – vielleicht sogar entgegen seiner jetzigen Vorstellung – später wechselt. Es erscheint daher empfehlenswert, in diesem Zusammenhang immer mindestens folgende Informationen zu sammeln:
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Staatsangehörigkeit des Erblassers |
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Gewöhnlicher Aufenthalt (Mitgliedsstaat/Drittstaat) |
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Geplante Aufenthaltsverlegung (Mitgliedsstaat/Drittstaat) |
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Vermögen im Ausland (Mitgliedsstaat/Drittstaat) |
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Erben im Ausland (Mitgliedsstaat/Drittstaat) |
Rz. 4
Ist eine Auslandsberührung oder mögliche Auslandsberührung erkennbar, so muss der Notar auf konkrete Angaben der Beteiligten hinwirken, damit er die Beteiligten auf die Möglichkeit der Geltung ausländischen Rechts hinweisen kann. Empfehlenswert erscheint, den Erblasser generell und immer darauf hinzuweisen, dass eine Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in Zukunft nach der ErbVO den Wechsel des auf die Rechtsnachfolge maßgeblichen Rechts herbeiführt. Denn es bestehen unter Geltung der ErbVO immer jedenfalls "Zweifel" im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 1 BeurkG, ob ausländisches Recht zur Anwendung kommt.
III. Ausländisches Recht
Rz. 5
Die Abgrenzung zwischen inländischem und ausländischem Recht im Sinne des § 17 Abs. 3 BeurkG bestimmt sich grundsätzlich danach, wer das Recht erlassen hat. Inländisches Recht hat der Notar zu kennen. Zum inländischen Recht gehört das gesamte
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deutsche Kollisionsrecht, und |
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das EU-Recht, da dieses in Deutschland unmittelbar gilt, |
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ebenso die Staatsverträge, soweit sie (aufgrund des jeweiligen Zustimmungsgesetzes über Art. 59 Abs. 2 GG) unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind. |
Rz. 6
Rück- und Weiterverweisungen muss der Notar nicht kennen, soweit sie sich aus ausländischen Kollisionsnormen ergeben; unter Geltung der ErbVO können derartige Verweisungen nur noch durch das Kollisionsrecht von Drittstaaten Bedeutung erlangen (Art. 34 Abs. 1 ErbVO, nicht jedoch, wenn das Recht des Drittstaates gewählt wurde, vgl. Art 34 Abs. 2 ErbVO).
Rz. 7
Das von der ErbVO jeweils berufene Sachrecht ist ausländisches Recht, das der Notar nicht zu kennen braucht. Wenn er nicht verpflichtet ist ausländisches Recht zu kennen, bedeutet das nicht, dass er daran gehindert ist, über das ausländische Recht zu beraten und dieses anzuwenden. Allerdings ist insofern höchste Vorsicht geboten, denn wenn der Notar eine Belehrung über ausländisches Recht erteilt, so haftet er gem. § 19 BNotO auch für ihre Richtigkeit. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass eine Auskunft sachgerecht, unmissverständlich und vollständig zu erteilen ist, auch wenn eine Pflicht zu ihrer Erteilung nicht besteht.
Ob ein entsprechender Haftungsausschluss möglich ist, ist streitig, im Ergebnis aber zu verneinen. Überdies schließen die allgemeinen Versicherungsbedingungen vieler deutscher Haftpflichtversicherungen den Versicherungsschutz für Schäden aus, die wegen Verletzung oder Nichtbeachtung ausländischen Rechts entstehen. Möchte der Notar über ausländisches Recht belehren und gegen daraus erwachsende Risiken versichert sein, so empfiehlt sich der Abschluss eines Zusatzvertrages mit zusä...