Dr. Stephan Pauly, Dr. Stephan Osnabrügge
Rz. 67
Verstöße des Arbeitnehmers gegen die Grenzen der Nutzung von Arbeitsmitteln stellen grundsätzlich eine Arbeitsvertragsverletzung dar, die mit arbeitsrechtlichen Sanktionen bedacht werden kann. Dies führt von der Ermahnung bis hin zur außerordentlichen Kündigung. In welcher Intensität Sanktionen in Betracht kommen, ist jeweils eine Frage der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Konkretisierung des Verbots und der Intensität der Nutzung.
Rz. 68
In der Praxis stellt sich bei der Frage der Beurteilung, ob ein Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber gewährten Nutzungsrahmen in arbeitsvertragswidriger Weise überschreitet, regelmäßig die Problematik gar nicht oder nicht hinreichend konturierter Verbote und damit die Frage, ob überhaupt eine Sanktion in Betracht kommt. Ob die Benutzung betrieblicher Kommunikationseinrichtungen auch ohne ausdrückliches Verbot arbeitsvertragswidrig ist, ist problematisch. Nach der früheren Instanzrechtsprechung konnte der Arbeitnehmer bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in aller Regel berechtigterweise von der Duldung durch den Arbeitgeber ausgehen. Denn die Nutzung vorhandener technischer Einrichtungen in angemessenem Umfang stelle eine im Privat- und Arbeitsleben sozialtypische Erscheinung dar. Kommunikationshandlungen seien häufig termingebunden, und während der Arbeitszeit könne der Arbeitnehmer private Kommunikationsmittel nicht oder nur eingeschränkt einsetzen. Zudem sei, so insbesondere das Landesarbeitsgericht Köln, das Telefonverhalten der Arbeitnehmer durch die dem Arbeitgeber regelmäßig zur Verfügung stehenden Verbindungsnachweise kontrollierbar. Die Grenzen der Duldungspflicht sind nach dieser Rechtsprechung erst dann erreicht, wenn selbst ein verständiger Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen darf, sein Verhalten könne geduldet werden. Selbst bei Unklarheiten über die Grenzen zwischen erlaubter und nicht erlaubter Internetnutzung muss der Arbeitnehmer nämlich zumindest davon ausgehen, dass eine exzessive Privatnutzung des Internets während der Arbeitszeit nicht vom Arbeitgeber hingenommen wird, so dass dann eben doch ein wichtiger Grund zur außerordentlichen verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung gegeben sein kann, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedurft hätte.
Rz. 69
Das BAG verwirft den Ansatz der Sozialadäquanz. Zum einen sei nicht ersichtlich, woraus sich eine solche Sozialadäquanz ergeben solle. Zum anderen sei allenfalls eine ganz kurzfristige private Nutzung (hier des Internets) während der Arbeitszeit allgemein gerade noch als hinnehmbar anzusehen, wenn kein ausdrückliches betriebliches Verbot zur privaten Nutzung existiere. Während die Instanzgerichte bislang nur dann eine stillschweigende Duldung durch den Arbeitgeber ablehnten, wenn das Maß der Nutzung einen Umfang erreichte, angesichts dessen der Arbeitnehmer schlechthin nicht mehr von einer Duldung ausgehen konnte (vgl. unten Rdn 75), kehrt das BAG dieses Regel-Ausnahmeverhältnis um: Allenfalls bei ganz geringfügiger Nutzung könne überhaupt von einer Duldung durch den Arbeitgeber ausgegangen werden, sofern kein ausdrückliches Verbot existiere. Die nach dieser Rechtsprechung des BAG für die private Nutzung des Internets entwickelten Kriterien gelten grundsätzlich auch bei der privaten Nutzung eines dienstlichen Telefons oder anderer Kommunikationsmittel. Offen bleibt aber dann weiterhin die Frage der Interessensabwägung: In der dem zitierten Urteil des BAG nachfolgenden LAG-Entscheidung erkannte das LAG Rheinland-Pfalz, dass dann, wenn erhebliche Unklarheit bzw. Unsicherheit darüber besteht, inwieweit eine Privatnutzung des Internets erlaubt bzw. nicht erlaubt ist, dies bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB zugunsten des Arbeitnehmers gewertet werden kann, so dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist.
Rz. 70
Praxishinweis
Man mag zu der Argumentation der Instanzgerichte, in der von der Kontrollierbarkeit in nicht verständlicher Weise auf Vertragskonformität geschlossen wird, stehen wie man will: In der Praxis neigt die erste Instanz jedenfalls nach wie vor zur Annahme einer Sozialadäquanz, solange nicht ein ausdrückliches Privatnutzungsverbot vorhanden ist. Ausnahmen hierzu sind nur Fälle, in denen der Arbeitnehmer schlechthin nicht davon ausgehen kann, dass sein Verhalten vertragskonform ist und der Arbeitgeber es dulden könnte (vgl. unten Rdn 75).
Zu beachten ist diese Rechtsprechung vor allem für die Fälle, in denen nach Ausspruch einer Kündigung und einer Freistellung des Arbeitnehmers der Rechner oder Auswertungen über das Telefonverhalten des Arbeitnehmers durchgesehen und zum Anlass für eine in der Regel außerordentliche (Gleichwohl-)Kündigung genommen wird. Existiert keine eindeutige Regelung, werden solche Kündigungen häufig nicht zu halten sein.