Rz. 31
§ 276 Abs. 2 BGB stellt auf die im Verkehr erforderliche Sorgfalt ab. Die Beurteilung hat somit nach einem objektivierten Maßstab zu erfolgen. Es muss die Sorgfalt beachtet worden sein, die nach den Erfordernissen des Verkehrs in der konkreten Lage erwartet werden durfte. Die persönliche Eigenart des Schuldners, seine individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen sind nicht von Belang. Vielmehr ist auf die berechtigte Verkehrserwartung an die betreffende Berufsgruppe allgemein abzustellen, also auf das Maß an Fähigkeiten, Umsicht und Sorgfalt, das von den Angehörigen dieses Standes bei Erledigung des entsprechenden Geschäfts typischerweise verlangt werden kann.
Rz. 32
Auch die Beurteilung des Anwaltsverschuldens ist an diesem Maßstab auszurichten; davon geht die höchstrichterliche Rechtsprechung als selbstverständlich aus. Die gebotene objektive Betrachtungsweise erklärt, warum die meisten Entscheidungen sich nur kurz oder gar nicht mit dem Verschulden befassen. Ist die objektiv gebotene Sorgfalt nicht gewahrt, so kann sich der Verpflichtete nur in Ausnahmefällen darauf berufen, nicht schuldhaft gehandelt zu haben; vielmehr spricht eine Pflichtverletzung zunächst für ein Verschulden des Rechtsberaters. Da die Rechtsprechung schon bei der Prüfung der Pflichtverletzung nicht auf den Idealanwalt abstellt, sondern auf den Inhalt des Vertrages und die daraus folgenden berechtigten Erwartungen der rechtsuchenden Person an Fähigkeiten und Sorgfalt des beauftragten Beraters (vgl. Rdn 5 ff.), entstehen auf der Ebene des Verschuldens regelmäßig keine zusätzlichen Fragen, wenn das Mandat in der generell üblichen Weise abgewickelt werden konnte, also keine Besonderheiten auftraten, die bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit außer Betracht bleiben.
Rz. 33
Wesentliche Umstände für die Beurteilung des Verschuldens können sich aus situationsbezogenen Besonderheiten des Falles ergeben. Die rechtliche Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten als fahrlässig anzusehen ist, muss die konkrete Lage des jeweiligen Falles einbeziehen. Den Schuldner trifft nur dann der Vorwurf der Fahrlässigkeit, wenn er den Haftungstatbestand vorhersehen und vermeiden konnte. Für den Anwalt heißt dies, er hätte in der konkreten Situation erkennen können, dass er pflichtwidrig handelt und dem Auftraggeber daraus möglicherweise ein Vermögensschaden entsteht, und er hätte den eingetretenen Nachteil verhindern können. Diese Beurteilung hat vom Zeitpunkt der konkreten Situation aus, also ex ante, zu erfolgen. Auf die weitere Schadensentwicklung braucht sich die Vorhersehbarkeit dagegen nicht zu erstrecken.