Rz. 164
Bei einem Unfall im Bereich eines Parkplatzes findet die StVO nur eingeschränkte Anwendung. Gleiches gilt für den Bereich eines öffentlichen Parkhauses, ggf. auch eines Betriebsgeländes. Der BGH geht grundsätzlich davon aus, dass allein die Vorschrift des allgemeinen Rücksichtnahmegebots nach § 1 Abs. 2 StVO anzuwenden ist, die aber auch den Rechtsgedanken bestimmter Garantiepflichten wie den Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nach § 9 Abs. 5 StVO bei einer Rückwärtsfahrt beinhaltet. Solange ein Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision auf einem Parkplatz auch rückwärts fährt, ergibt sich hieraus mithin auch ein Verschulden, welches im Wege des Anscheinsbeweises vermutet wird.
Es ist in jedem Fall gesondert zu prüfen, ob die Vorschriften aufgrund einer vergleichbaren Verkehrslage entsprechend anzuwenden sind. Daneben ist zu berücksichtigen, dass auch bei einer Geltung der Vorschriften der StVO der andere Kraftfahrzeugführer nicht im gleichen Maße wie im fließenden Verkehr auf die Beachtung der StVO vertrauen darf. Vielmehr erfährt das Gebot der Rücksichtnahme bei dem Befahren eines Parkplatzes eine besondere Ausprägung. Jeder Fahrzeugführer muss daher stets bremsbereit und mit mäßiger Geschwindigkeit fahren und ständig mit rangierenden Fahrzeugen rechnen. Auch der auf einem "Fahrstreifen" an Parkbuchten vorbeifahrende Fahrzeugführer kann nicht uneingeschränkt auf die Achtung eines Vorrangrechts vertrauen. Es kommen daher nur selten Fälle vor, bei denen eine alleinige Haftung eines unfallbeteiligten Fahrzeugführers gegenüber dem Unfallgegner gegeben ist. In der Regel wird zumindest eine Mithaftung in Höhe von 20 % geboten sein.
Rz. 165
Selbst wenn der Unfallgegner gegen eine der Kardinalvorschriften der StVO wie die §§ 8, 9 StVO, die entsprechend angewendet werden können, verstoßen haben sollte, trifft den anderen Fahrzeugführer, dessen Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ebenfalls in Bewegung war, eine Mithaftung, es sei denn, er ist mit Schrittgeschwindigkeit bremsbereit gefahren und konnte eine Kollision nicht vermeiden oder sein Fahrzeug stand zum Unfallzeitpunkt über einen längeren Zeitraum. Bei einem Lkw kann sich darüber hinaus eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr allein unter dem Gesichtspunkt der bauartbedingt eingeschränkten Sichtverhältnisse ergeben.
Rz. 166
Muster 4.60: Mithaftung beim Parkplatzunfall aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. einer erhöhten Betriebsgefahr
Muster 4.60: Mithaftung beim Parkplatzunfall aus § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. einer erhöhten Betriebsgefahr
Vorliegend ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Unfallortes wie der sich hieraus ergebenden Abwägungsfaktoren in jedem Fall eine Mithaftung gegeben.
Bei einem Unfall im Bereich eines Parkplatzes darf der andere Kraftfahrzeugführer nicht im gleichen Maße wie im fließenden Verkehr auf die Beachtung der StVO vertrauen (KG Berlin, Urt. v. 30.5.2005 – 12 U 82/04 = VersR 2006, 563; OLG Hamm, Urt. v. 11.9.2012 – 9 U 32/12 – juris; KG VersR 2006, 563; LG Hamburg, Urt. v. 4.12.2009 – 306 O 221/08 – juris; LG Potsdam, Urt. v. 7.6.2001 – 3 S 430/00 = SP 2001, 335). Jeder Fahrzeugführer muss daher stets bremsbereit mit mäßiger Geschwindigkeit fahren und ständig mit rangierenden Fahrzeugen rechnen (LG Bochum, Urt. v. 15.11.2002 – 5 S 209/02 = SP 2003, 124; AG Düsseldorf, Urt. v. 17.4.2014 – 30 C 13623/12 – juris). Dies sind üblicherweise nicht mehr als 10 km/h (OLG Hamm, Urt. v. 11.9.2012 – 9 U 32/12 – juris). Diese hohen Sorgfaltsanforderungen sind vorliegend nicht beachtet worden, da _________________________.
Hinzukommt, dass die Betriebsgefahr des eigenen Fahrzeugs auch ohne ein Verschulden dadurch erhöht wird, dass auf engem Raum rangiert und allein dadurch die Gefahr einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug erhöht wird. Für diese Erhöhung der Betriebsgefahr genügt auch jedes eigene Fahrmanöver oder die Einfahrt in eine gefahrenträchtige Örtlichkeit, ohne dass es eines Verschuldens bedarf (vgl. auch BGH, Urt. v. 11.1.2005 – VI ZR 352/03 = VersR 2005, 702 sowie Nugel NJW 2013, 193 m.w.N.). Allein unter diesen Gesichtspunkten besteht eine Mithaftung von mindestens ⅓ (LG Heidelberg, Urt. v. 20.2.2015 – 3 O 93/14 – juris; LG Köln, Urt. v. 14.4.1994 – 19 S 273/93 = SP 1994, 274).
Rz. 167
Bei der Haftungsabwägung war bisher nach einer Ansicht in der Rechtsprechung auch zu beachten, dass allein die Tatsache, dass eines der Fahrzeuge im Parkplatzbereich zum Unfallzeitpunkt bereits gestanden hat, für sich gesehen häufig nicht genügen sollte, um eine Mithaftung aus einer Betriebsgefahr auszuschließen. Entscheidend war nach dieser Ansicht für die Zurechnung einer durch ein Fahrmanöver wie beispielsweise ein rückwärtiges Ausparken erhöhten Betriebsgefahr, ob zu diesem Fahrmanöver noch ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang bestanden hat.
Rz. 168
Diese weite Anwendung eines Anscheinsbeweises wegen einer Rückwärtsfahrt hat der BGH jedoch im Parkplatzbereich abgelehnt. Bei ...