Rz. 185
Für einen Radfahrer als fahrenden Verkehrsteilnehmer gelten genau wie für motorisierte Fahrzeugführer die grundlegenden Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr in Form von Garantie- und Kardinalpflichten.
1. Alleinhaftung des Radfahrers
Rz. 186
Ereignet sich ein Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem solchen Fahrmanöver, spricht bei einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang auch gegen den Radfahrer ein damit verbundener Anscheinsbeweis, der einen schuldhaften Verstoß gegen diese Vorschriften und damit eine Mithaftung oder gar alleinige Haftung begründen kann. Verstößt ein Radfahrer gegen eine dieser grundlegenden, ihm obliegenden Sorgfaltspflichten, kann dieses Fehlverhalten so schwer wiegen, dass ihn die alleinige Haftung trifft und die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Fahrzeuges vollständig zurücktritt. Dies gilt erst Recht, wenn es sich um ein eingesetztes Pedelec mit einem eigenen Motor und einer möglichen Geschwindigkeit von über 25 km/h handelt.
Rz. 187
Muster 4.66: Alleinhaftung Radfahrer
Muster 4.66: Alleinhaftung Radfahrer
Verstößt ein Radfahrer gegen eine der Kardinalvorschriften der StVO und ist ihm dabei ein erhebliches Verschulden anzulasten, tritt dahinter die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurück (OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.2016 – I 9 U 125 / 15 – juris ; OLG Nürnberg, Urt. v. 14.7.2005 – 13 U 901/05 = NZV 2007, 205; OLG Schleswig, Urt. v. 21.8.2008 – 7 U 89/07 = MDR 2009, 141; OLG Oldenburg, Urt. v. 31.7.2014 – 1 U 19/14 = DAR 2015, 94; im Überblick Krause/Nugel, VRR 2014, 84 ff.).
2. Mithaftung des Radfahrers, der entgegen der Fahrtrichtung bzw. auf dem Gehweg fährt
Rz. 188
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob der Radfahrer trotz des Fahrens in falscher Fahrtrichtung sein Vorrangrecht beibehält: Während eine Auffassung dies ablehnt, hat sich überwiegend die Ansicht durchgesetzt, dass dem Radfahrer sein Vorrangrecht erhalten bleibt. Dementsprechend trifft den unfallbeteiligten Kraftfahrzeugführer bei einem (im Wege des Anscheinsbeweises) nachgewiesenen Verschulden die überwiegende Haftung, wobei sein Haftungsanteil i.d.R. mit ⅔ bzw. gar 75 % (insbesondere bei einem irreführenden Anhalten) anzusetzen sein dürfte.
Rz. 189
Muster 4.67: Vorrang des Radfahrers trotz falscher Fahrtrichtung
Muster 4.67: Vorrang des Radfahrers trotz "falscher Fahrtrichtung"
Auch wenn ein Radfahrer den Radweg entgegen der Fahrtrichtung befährt, behält er ein ihm zustehendes Vorrangrecht (BGH, Urt. v. 15.7.1986 – 4 StR 192/86 = DAR 1986, 361; OLG Düsseldorf, Urt. v. 10.4.2000 – 1 U 206/99 = DAR 2001, 78; OLG Hamm, Urt. v. 10.3.1995 – 9 U 208//94 = DAR 1996, 322). Den wartepflichtigen Fahrzeugführer trifft daher selbst die weit überwiegende Haftung, die mit mindestens 75 % anzusetzen ist (OLG Hamm, Urt. v. 10.3.1995 – 9 U 208//94 = DAR 1996, 322). Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – _________________________.
Rz. 190
Angesichts des schuldhaften Verstoßes des Radfahrers gegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO ist sein Haftungsanteil bei der nach den § 9 StVG, § 254 BGB vorzunehmenden Haftungsabwägung mit ⅓ bzw. 25 % zu berücksichtigen. Der Radfahrer muss trotz seines Vorrangrechtes damit rechnen, dass er aufgrund der Fahrt entgegen der Fahrtrichtung von einem anderen Verkehrsteilnehmer nicht wahrgenommen wird. Einen gleichen Mitverschuldensanteil von ⅓ bzw. ein Mitverschulden von 30 % trifft den Radfahrer, wenn er zwar in Fahrtrichtung, aber auf dem Gehweg fährt. Hat der Radfahrer aufgrund eines kurzfristigen Anhaltens des Pkw darauf vertraut, dass dessen Führer den Radfahrer erkannt hat, kann sich der Haftungsanteil des Radfahrers auf 25 % reduzieren. Ist das Fahrzeug dagegen gut erkennbar und nimmt der Fahrradfahrer ein gefahrenträchtiges Fahrmanöver um dieses herum vor, haftet der Radfahrer zu 50 % mit.
Rz. 191
Muster 4.68: Mithaftung des Radfahrers wegen Fahren in falscher Fahrtrichtung
Muster 4.68: Mithaftung des Radfahrers wegen Fahren in "falscher Fahrtrichtung"
Verstößt ein Radfahrer gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 4 S. 2 StVO trifft ihn ein erheblicher Mithaftungsanteil. Selbst wenn zu seinen Gunsten weiterhin ein Vorrangrecht angenommen wird, muss der Radfahrer damit rechnen, dass er aufgrund der Fahrt entgegen der Fahrtrichtung von einem anderen Verkehrsteilnehmer nicht wahrgenommen wird (LG Hannover, Urt. v. 3.12.1987 – 3 S 302/87 = DAR 1988, 166). Verstößt er gegen diese Sorgfaltsanforderung, trifft ihn eine Mithaftung von mindestens ⅓ (OLG Hamm, Urt. v. 4.8.2017 – 9 U 173/16 – juris; OLG Frankfurt, Urt. v. 23.1.2004 – 24 U 118/03 = DAR 2004, 393; OLG Hamm, Urt. v. 24.10.1996 – 6 U 68/96 = NZV 1997, 123; LG Wuppertal, Urt. v. 4.1.2013 – 2 O 407/10 – juris; LG Berlin, Urt. v. 1.9.2003 – 58 S 129/03 = SP 2003, 415). Dies insbesondere, wenn – wie hier – _________________________.
Rz. 192
Die Haftungsquote verändert sich grundlegend...