Rz. 198
Bei einem Unfall zwischen Kraftfahrzeug und Fußgänger richtet sich die vorzunehmende Abwägung ebenfalls nach den § 9 StVG, § 254 BGB.
1. Mithaftung des Fußgängers wegen Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO
Rz. 199
Den Fußgänger kann eine Mithaftung im Rahmen der nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Haftungsabwägung treffen, wenn er in schuldhafter Weise gegen die StVO, insbesondere § 25 Abs. 3 StVO verstößt. Dies gilt unabhängig davon, dass nach der Neufassung des § 7 StVG eine Haftung des Kfz-Halters bei einem Unfall mit nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern nur noch bei höherer Gewalt entfällt. Hiervon strikt zu trennen ist jedoch die Frage, ob hinter einem überragenden Fehlverhalten eines Verkehrsteilnehmers die "einfache" Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Kfz zurücktritt. Die reine Betriebsgefahr eines Kfz ist jedenfalls auch nach der Gesetzesreform nicht höher einzustufen.
Rz. 200
Ereignet sich der Unfall auf der Fahrbahn, wird der Fußgänger häufig gegen die Vorschrift des § 25 Abs. 3 StVO verstoßen haben. Zu seinen Lasten kann sogar ein Anscheinsbeweis eingreifen.
Rz. 201
Muster 4.71: Verstoß des Fußgängers gegen § 25 Abs. 3 StVO
Muster 4.71: Verstoß des Fußgängers gegen § 25 Abs. 3 StVO
Gemäß § 25 Abs. 3 StVO hat ein Fußgänger eine Fahrbahn unter Beachtung des Vorrangs des Fahrzeugverkehrs zu überqueren. Er muss beim Betreten der Fahrbahn besonders vorsichtig sein und hat den fließenden Verkehr vor dem Betreten und auch beim Überqueren der Fahrbahn genau zu beobachten (BGH, Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99 = NJW 2000, 3069). Die Fahrbahn darf er nur überqueren, wenn er die andere Straßenseite rechtzeitig vor dem Eintreffen eines herannahenden Pkw erreichen kann (BGH, Urt. v. 12.7.1983 – VI ZR 286/81 = NJW 1984, 50; OLG Celle, Urt. v. 19.3.2015 – 5 U 185/11 – juris). Ereignet sich der Unfall auf der Fahrbahn, spricht gegen den Fußgänger insoweit der Beweis des ersten Anscheins (OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2007 – 9 U 92/07 = NJW-RR 2008, 1349) und ihn trifft erst einmal die alleinige Haftung (OLG Dresden, Urt. v. 9.5.2017 – 4 U 1596/16 = zfs 2017, 555; OLG München, Urt. v. 10.11.2017, 10 U 491/17 – juris). Dieser Anscheinsbeweis wird vorliegend noch dadurch erhärtet, dass _________________________.
Rz. 202
Verstößt der Fußgänger gegen § 25 Abs. 3 StVO, stehen sich als Abwägungsfaktoren einerseits die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Kfz und das i.d.R. als grob fahrlässig zu bewertende Verschulden des Fußgängers gegenüber. Unter Umständen kann dabei die einfache, nicht erhöhte Betriebsgefahr des Kfz hinter dem überragenden Fehlverhalten des Fußgängers im vollen Umfang zurücktreten. Teilweise wird in der Rechtsprechung sogar der Grundsatz aufgestellt, dass von einer alleinigen Haftung des Fußgängers auszugehen ist, wenn er versucht, (unmittelbar) vor einem herannahenden Kfz die Fahrbahn zu überqueren und es zum Unfall kommt, ohne dass der Fahrzeugführer fahrlässig handelt. Zumindest bei Hinzutreten weiterer besonderer Umstände zu Lasten des Fußgängers dürfte aber seine alleinige Haftung bei fehlendem Verschulden des Kfz-Führers gegeben sein. Dies ist z.B. der Fall, wenn
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der Fußgänger die Straße direkt vor bzw. bei einer für ihn Rot zeigenden LZA überquert, |
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bei Nacht die Straße laufend vor einem herannahenden Kfz überquert, |
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direkt zwischen parkenden oder haltenden Fahrzeugen hervortritt, |
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im alkoholisierten Zustand nachts direkt vor das herannahende Fahrzeug tritt. |
Rz. 203
Die Annahme, dass die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw vollständig hinter dem Verschulden des Fußgängers zurücktritt, ist jedoch nicht zwingend. Teilweise wird in der Rechtsprechung auch vertreten, dass die Betriebsgefahr des beteiligten Fahrzeug mit 25 % bzw. 30 % zu berücksichtigen ist, es sei denn, der beteiligte Kraftfahrzeugführer weist nach, dass der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen ist. Steht dagegen fest, dass der Unfall für den Fahrzeugführer unvermeidbar war, haftet der Fußgänger wegen eines Verstoßes gegen § 25 Abs. 3 StVO alleine.
Rz. 204
Die Haftungsquote verändert sich, wenn den Fahrer des unfallbeteiligten Kfz auch ein Verschulden trifft, z.B. weil er Hinweise auf ein Betreten der Fahrbahn durch den Fußgänger fahrlässig verkannt oder eine deshalb gebotene Geschwindigkeitsreduzierung unterlassen hat. Ein solches Verschulden muss der Fußgänger allerdings nach dem Maßstab des § 286 ZPO beweisen. Wird ein Fußgänger, der von links kommt, von einem Fahrer auf dessen rechter Fahrbahnhälfte angefahren, kann der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Fahrers sprechen. Bei beiderseitigem Verschulden ist im Zweifel eine Haftungsteilung geboten. Wird in eklatanter Weise das drohende Betreten der Fahrbahn verkannt, kann der Haftungsanteil des Fahrers bis zu 75 % ansteigen.