a) Beurteilungsmaßstab und -zeitpunkt
Rz. 72
Die Mitwirkungspflicht an Verwaltungsmaßnahmen der Erbengemeinschaft besteht ausschließlich bei Maßnahmen, die zur "ordnungsmäßigen" Verwaltung erforderlich sind. Ordnungsmäßige Verwaltung i.S.v. § 2038 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 745 Abs. 1 S. 1 BGB umfasst alle Maßnahmen, die dem Interesse aller Miterben nach billigem Ermessen entsprechen, § 2038 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 745 Abs. 2 BGB. Die Frage der Ordnungsmäßigkeit ist an dem Verhalten einer verständigen Person in der gleichen Situation zu beurteilen. Maßgebend ist der Standpunkt eines vernünftig und wirtschaftlich denkenden Beurteilers zum Zeitpunkt, in dem die Handlung vorgenommen werden soll. "Vernünftig" und "wirtschaftlich" ist es, bei mehreren Wegen die zum gleichen Erfolg führen, den einfacheren und leichteren Weg zu wählen. Ann formuliert zu diesem Beurteilungsmaßstab plastisch:
Zitat
"Kernproblem dieses Verfahrens ist der Mangel an Rechtssicherheit. Prospektiv ist häufig nicht genau erkennbar, was ein Richter retrospektiv als die prospektive Einschätzung einer verständigen Person ansehen wird. Unsicherheit und daraus folgende Risikoscheu sind so gerade in Grenzfällen kaum vermeidbar."
Rz. 73
Stellt sich im Nachhinein heraus, dass eine Verwaltungsmaßnahme im Außenverhältnis vertragswidrig gewesen ist, so kann es sich gleichwohl noch um eine Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung gehandelt haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei der Beschlussfassung
Zitat
"die Rechtslage auch nach Einholung von Rechtsrat nicht zuverlässig einzuschätzen war. Könnten vernünftige Maßnahmen nur dann mehrheitlich beschlossen werden, wenn ihre Umsetzung rechtlich unzweifelhaft ist, liefe dies auf eine – die Entscheidungsbefugnisse der Mehrheit weitgehend einschränkende – unzulässige Zweckmäßigkeitskontrolle hinaus."
b) Keine wesentliche Veränderung
Rz. 74
Eine wesentliche Veränderung des Nachlassgegenstandes ist keine ordnungsmäßige Verwaltung mehr und kann daher weder mehrheitlich beschlossen noch verlangt werden, § 2038 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 745 Abs. 3 S. 1 BGB. "Wesentlich" ist eine Veränderung, wenn durch die beabsichtigte Verwaltungsmaßnahme die Zweckbestimmung oder Gestalt des Nachlasses in einschneidender Weise geändert werden würde.
Rz. 75
Der BGH hat im Jahr 2005 die umstrittene Frage, was unter "Gegenstand" i.S.v. § 745 Abs. 3 S. 1 BGB zu verstehen ist, dahin entschieden, dass damit der gesamte Nachlass gemeint ist:
Zitat
"Für die Wesentlichkeit einer Veränderung ist auf den gesamten Nachlass abzustellen, andernfalls läge in jeder Verfügung über einen Nachlassgegenstand eine wesentliche Veränderung; derartige Maßnahmen wären mithin nie ordnungsgemäß. Das wäre indes mit Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Mitwirkungsregelungen unvereinbar, die (…) Verfügungen in den Katalog der möglichen Verwaltungsmaßregeln grundsätzlich mit einbeziehen."
Die Veräußerung eines von mehreren Nachlassgrundstücken ist daher eine bloße Umstrukturierung des Gesamtnachlasses, da im Wege der dinglichen Surrogation (§ 2041 S. 1 BGB, s. hierzu unten Rdn 181 ff.) anstelle der Immobilie dann der Verkaufserlös tritt. Die Umwandlung von einem fast ausschließlich aus Immobilien bestehenden Nachlass in Bar- und Wertpapiervermögen wäre demgegenüber regelmäßig eine wesentliche Veränderung, ebenso die Kündigung eines Sparbuches, das den wesentlichen Nachlass darstellt. Der anlassbezogene Verkauf einer von vielen Eigentumswohnungen aus dem Nachlass muss hingegen keine wesentliche Veränderung darstellen.
c) Einzelfallabwägung
Rz. 76
Die Beurteilung, ob eine Maßnahme ein Fall der "ordnungsmäßigen" Verwaltung ist, bleibt stets einzelfallabhängig. Fraglich ist es bspw., ob man den Abschluss von Mietverträgen als einen Fall der ordnungsmäßigen Verwaltung ansehen kann. Die Frage lässt sich nicht generell beantworten: Die Vermietung von Nachlassgegenständen ist fraglos eine Maßnahme der Verwaltung und auf den ersten Blick erscheint es auch dem Interesse der ...