a) Recht auf Gebrauch
Rz. 91
§§ 2038 Abs. 2, 743 Abs. 2 BGB gewähren jedem Miterben ein selbstständiges Recht zum Gebrauch der Nachlassgegenstände, soweit der Mitgebrauch der übrigen Miterben hierdurch nicht beeinträchtigt wird. So wie § 743 Abs. 1 BGB sich auf die Regelung des Anteils beschränkt, regelt § 743 Abs. 2 BGB lediglich das Maß des Gebrauches, nicht jedoch die Art und Weise. Auch hier gilt: Art und Weise des Gebrauchs werden durch Mehrheitsbeschluss geregelt (zur Beschlussfassung siehe unten Rdn 109). Der Gebrauch hat gem. § 743 Abs. 2 BGB so zu erfolgen, dass der Mitgebrauch der übrigen Miterben nicht beeinträchtigt wird. Die Grenzen dieser Befugnisse bestimmen sich nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, § 242 BGB. Über § 745 Abs. 3 S. 2 BGB ist das Maß des Gebrauchs (entsprechend der Erbquote des Miterben) geschützt (Quotenschutz des Minderheitserben), jedoch nicht eine bestimmte Art der (Eigen-)Nutzung: Die Erbenmehrheit kann einem oder mehreren Miterben mithin eine zunächst zugestandene reale Eigennutzung eines Nachlassgegenstands oder eines Teils davon entziehen.
Rz. 92
Allein der Umstand, dass ein Miterbe von seinem Recht gem. § 743 Abs. 2 BGB keinen Gebrauch macht, gewährt ihm noch keinen Entschädigungsanspruch gegen die übrigen Miterben. Ein Ausgleich für Benachteiligungen (Nutzungsentschädigung u.Ä.) kann einem Miterben somit erst ab dem Zeitpunkt zustehen, ab dem er gem. § 745 Abs. 2 BGB eine Neuregelung der Verwaltung und Benutzung verlangen kann und auch tatsächlich mit hinreichender Deutlichkeit verlangt. Die Miterben sind nicht verpflichtet, von sich aus den Mitgebrauch anzubieten. Siehe hierzu im Einzelnen unten Rdn 97 ff.
Rz. 93
In der Praxis sind häufig Fälle anzutreffen, in denen ein Miterbe – z.B. der überlebende Ehegatte – den Nachlass "allein in Besitz" nimmt. Dies geschieht bspw. indem den übrigen Erben der Zugang zum Wohnhaus u.Ä. des Erblassers (und des überlebenden Ehepartners) verwehrt und hierdurch auch ein Zugang zu sonstigen im Haus befindlichen Nachlassgegenständen verhindert wird (zur strafrechtlichen Relevanz dieses Verhaltens vgl. § 25 Rdn 31 ff.). § 2038 Abs. 2 BGB i.V.m. § 743 Abs. 2 BGB gewährt hier den ausgeschlossenen Erben einen petitorischen Anspruch. Die vom Gebrauch ausgeschlossenen Erben sind somit nicht darauf beschränkt, lediglich die possessorischen Ansprüche über § 857 BGB geltend zu machen. Der vom Gebrauch ausgeschlossene Miterbe muss auch etwaigen Widerspruch nicht erst durch Klage brechen, da jeder Miterbe selbstständig zum Gebrauch der Nachlassgegenstände befugt ist, § 2038 Abs. 2 BGB i.V.m. § 743 Abs. 2 BGB. Dabei ist es unerheblich, ob die gesamte Immobilie oder – wie häufig – lediglich eine ideelle Hälfte in den Nachlass gefallen ist (und die andere Hälfte dem überlebenden Ehegatten gehört).
b) Anspruch auf Benutzungsregelung
Rz. 94
Jeder Miterbe hat Anspruch auf eine Regelung der Verwaltung und Benutzung, die billigem Ermessen aller Miterben entspricht – also auch seinem eigenen, §§ 2038 Abs. 2, 745 Abs. 2 BGB. Eine Benutzungsregelung kann verlangt werden, wenn durch die Erbengemeinschaft weder eine Vereinbarung noch ein Beschluss getroffen wurde, die billigem Ermessen entsprechen. Liegt eine solche Regelung vor, kommt ein Anspruch auf (Neu-)Regelung oder eine gerichtliche Änderung nur in Betracht, wenn sich die Umstände seit der Regelung wesentlich geändert haben oder wenn eine getroffene Regelung in einem bestimmten Punkt lückenhaft ist.
Rz. 95
Auch Verfügungen über Eigentumsrechte können eine ordnungsgemäße Verwaltung darstellen und unter § 745 Abs. 2 BGB fallen, wenn die begehrte Regelung nach billigem Ermessen dem Interesse der Miterben entspricht und die Grenze des § 745 Abs. 3 BGB wahrt, insbesondere eine übermäßige finanzielle Belastung des Anspruchsgegners vermieden wird (siehe hierzu auch Rdn 78).
Bei der Abwägung muss das Gericht die konkreten Verhältnisse und die bisherige Bestimmung und Benutzung berücksichtigen und die Interessen der Beteiligten gegeneinander abwägen. Diese Entscheidung ist bereits in der Berufungsinstanz lediglich darauf zu überprüfen, ob sie auf grundsätzlich falschen oder offenbar unsachlichen Erwägungen beruht oder ob wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen worden sind. Die Feststellungen des Gerichts müssen so umfassend erfolgen, dass eine Überprüfung anhand dieser Maßstäbe durch das Rechtsmittelgericht ermöglicht wird.