Rz. 52

Der Begriff der "Verwaltung" (des Nachlasses) ist im BGB nicht definiert. Über die Reichweite des Begriffes in § 2038 BGB herrscht keine Einigkeit. Insbesondere ist es schwierig zu beurteilen, welche Verfügungen die Rechtsprechung abweichend von § 2040 (gemeinschaftliche Verfügung) im Rahmen der Mehrheits- oder sogar Einzelverwaltung für möglich hält. Einigkeit besteht jedoch darin, dass "Verwaltung" i.S.v. § 2038 BGB weit und umfassend zu verstehen ist: Umfasst sind alle tatsächlichen und rechtlichen Maßnahmen, die zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreitung laufender Verbindlichkeiten des Nachlasses erforderlich oder geeignet sind.[109] Der BGH hat mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2005 die Definition erweitert, wodurch nunmehr grundsätzlich auch Verfügungen über Nachlassgegenstände eine Maßnahme der Verwaltung sein können[110] (zur Frage, ob eine Verfügung eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung sein kann, siehe unten Rdn 77).

 

Rz. 53

Die Regelung in § 2038 Abs. 1 S. 1 BGB ist im Wesentlichen deckungsgleich mit § 744 Abs. 1 BGB. Auch in § 1978 verwendet das BGB den Begriff der "Verwaltung" (des Nachlasses). Nach den Motiven umfasst die Verwaltung dort die "gesammte thatsächliche und rechtliche Verfügung über das verwaltete Gut, schließt also auch Veräußerungen, zu welchen der Verwalter berechtigt ist, nicht aus".[111] Der Verwaltungsbegriff in § 2038 BGB soll gleichermaßen zu verstehen sein.[112] Zur Problematik, ob aus den Motiven des BGB zu § 1978 der Schluss gezogen werden kann, dass Verfügungen der Erbengemeinschaft auch als Verwaltungsmaßnahme nach § 2038 BGB beurteilt werden können siehe unten Rdn 78.

Ann formuliert plastisch, dass

Zitat

"Verwaltung alles sein soll, was den Status Quo des Erblasservermögens sichert, wie er im Zeitpunkt des Erbfalls bestanden hat. Verwaltungshandeln ist so in erster Linie “Bewahrungshandeln‘".[113]

Weiter führt er aus, dass

Zitat

"werbendes Handeln der Nachlassverwaltung zumindest nicht wesensfremd sein kann. Nachlassverwaltung ist also auch Bewahrungshandeln, erschöpft sich darin aber nicht."[114]

 

Rz. 54

Verwaltungsmaßnahmen sind bspw.:[115]

Anfechtung (auch eines Eigentümerbeschlusses)
Antragstellung und deren Rücknahme beim Grundbuchamt
Baumaßnahmen auf einem Grundstück
Entlassung oder Anstellung von Grundstücksverwaltern oder Bediensteten
Erlass von Forderungen
Forderungseinziehung, auch Miet- und Pachtzins (siehe unten Rdn 167)[116]
Handelsgeschäft fortführen oder einstellen[117]
Kapitalanlage bis zur Auseinandersetzung[118]
Klage zum Schutz eines verpfändeten Grundstückes vor ungerechtfertigter Vollstreckung[119]
Mahnungen
Nachbarschaftsrechte gegen Baugenehmigung geltend machen[120]
Nachlassschulden begleichen, insbes. laufende Verbindlichkeiten[121]
Pflichtteilsansprüche beziffern und auszahlen (auch bei Testamentsvollstreckung)
Rechtsstreitigkeiten einschließlich der Prozessführung[122]
Regelung der Benutzung von Nachlassgegenständen[123]
Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen, soweit sie aus Nachlassmitteln beglichen werden können[124]
Rücktritt
Stille Gesellschaft mit Dritten eingehen[125]
Stimmrechtsausübung aufgrund eines GmbH-Geschäftsanteils vor Ausübung des Stimmrechts gem. § 18 Abs. 1 GmbHG[126]
Verarbeitung halbfertiger Produkte, auch wenn dadurch neue Produkte entstehen
Veräußerung von Grundstücken[127]
Vergleichsabschluss über Forderungen für und gegen den Nachlass[128]
Vermietung und Verpachtung[129] von Nachlassgegenständen[130]
Vertragsabschluss
Verwaltung und Vertretung auf einzelne Miterben oder einen Dritten übertragen[131]
Vollmachterteilung[132]
Widerruf einer vom Erblasser erteilten Vollmacht (siehe hierzu § 13 Rdn 57, insbes. Rdn 66)
Widerspruch gegen Verlängerung eines Mietverhältnisses.[133]

Eine "Übertragung" dieser Beispiele auf den konkreten Fall darf nur mit Vorsicht erfolgen. Es kommt auf die konkreten Umstände an, ob eine Verwaltungsmaßnahme vorliegt.

 

Rz. 55

Die Kündigung von Miet- und Pacht-Verträgen sowie auch anderer Verträge ist eine Verfügung i.S.v. § 2040 BGB, da sie als einseitig empfangsbedürftige Willenserklärung unmittelbar auf das Rechtsverhältnis einwirkt. Seine gegenteilige Rechtsprechung von 1951 hat der BGH 2006 aufgegeben.[134] Zu Einzelheiten siehe § 19 Rdn 27 ff.

Keine Verwaltungsmaßnahmen sind[135]

Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 2034 BGB
Bestattung des Erblassers (Leiche ist nicht Eigentum der Erben)
Exhumierung des Erblassers (Leiche ist nicht Eigentum der Erben)
Obduktion des Erblassers (Leiche ist nicht Eigentum der Erben)
Handlungen, die auf die Auseinandersetzung oder Auflösung des Nachlasses gerichtet sind (keine Erhaltung oder Nutzung des Nachlasses)
Mitgliedschaftsrechtliche Organisation der Erbengemeinschaft (z.B. Regelung des Stimmenverhältnisses und der Stimmabgabe)[136]
Vereinbarung über den Ausschluss der Auseinandersetzung.
 

Rz. 56

Umstritten ist die Einordnung des ...

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