Julia Roglmeier, Dr. Christopher Riedel
aa) Allgemeines
Rz. 84
Während der juristische Laie die Begriffe "erben" und "vermachen" oft synonym verwendet, stellt es für den Experten einen fundamentalen Unterschied dar, ob eine Person als Erbe oder als Vermächtnisnehmer eingesetzt ist. Bei unklaren oder zweideutigen Formulierungen muss ausgelegt werden, was der Erblasser gewollt hat. Eine Auslegungshilfe sieht das Gesetz in § 2087 BGB vor. Danach ist unabhängig von der Begrifflichkeit "Erbe" von einer Erbeinsetzung auszugehen, wenn der Erblasser einem Begünstigten sein Vermögen oder Bruchteile seines Vermögens zugewiesen hat (Absatz 1). Wurden lediglich einzelne Gegenstände zugewiesen, ist im Zweifel von einem Vermächtnis auszugehen (Absatz 2). Die Abgrenzung ist allerdings nicht zwingend: Wird einem Begünstigten von Todes wegen ein Gegenstand vermächtnisweise zugewiesen und der Nachlass dadurch wertmäßig durch die Zuweisung erschöpft, kann darin auch eine Erbeinsetzung gesehen werden.
Rz. 85
Ein Erbe wird Rechtsnachfolger des Verstorbenen und tritt in alle seine zum Zeitpunkt des Todes bestehenden Rechte und Pflichten ein, wobei der Erwerb von Todes wegen "von selbst" eintritt. Demgegenüber wird der Vermächtnisnehmer gerade nicht Rechtsnachfolger. Ihm steht stattdessen ein schuldrechtlicher Anspruch gegen den Nachlass (bzw. gegen den Beschwerten, § 2174 BGB) zu. Dieser Anspruch kann mit dem Erbfall (§ 2174 BGB) oder aber auch nach dem Erbfall (§§ 2177 ff. BGB) entstehen. Die Vorteile für den Vermächtnisnehmer liegen darin, dass er zwar einen werthaltigen Anspruch, mit der übrigen Nachlassabwicklung aber gerade nichts zu tun hat. Die Höhe des Vermächtnisanspruchs kann dabei bei gesetzlichen Erben wertmäßig durchaus einer Erbeinsetzung gleichgestellt werden.
Die Nachteile liegen für den Vermächtnisnehmer hauptsächlich in den fehlenden Informations- und Auskunftsrechten. Als Nicht-Rechtsnachfolger genießt er schließlich eine gegenüber dem Erben wesentlich schwächere Position Dritten gegenüber.
Rz. 86
Die Erfüllung eines Vermächtnisses kann in die Hände eines Testamentsvollstreckers gelegt werden, wobei entweder der Vermächtnisnehmer selbst oder aber auch eine dritte Person das Amt übernehmen kann. Die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers sichert die Umsetzung der testamentarischen Anordnung.
Rz. 87
Vermächtnisse gibt es in unterschiedlichen Ausprägungsformen. Man unterscheidet zwischen folgenden Gruppen:
bb) Vorausvermächtnis
Rz. 88
Wird einem Erben (auch dem Alleinerben) zusätzlich zu seinem Erbteil ein Vermögensgegenstand zugewendet, spricht man von einem Vorausvermächtnis, § 2150 BGB.
Ein mit einem Vorausvermächtnis bedachter Miterbe muss die Zuwendung gegenüber den übrigen Miterben wertmäßig nicht ausgleichen. Bei der Auseinandersetzung erfolgt gerade keine Anrechnung auf den Erbteil. Will der Erblasser demgegenüber einen Gerechtigkeitsausgleich unter den Miterben erreichen, muss er die Vermögenszuwendung stattdessen mittels einer Teilungsanordnung vornehmen. In Zweifelsfällen muss der Erblasserwille im Wege der (erläuternden oder ergänzenden) Auslegung ermittelt werden. Entscheidend kommt es in diesem Zusammenhang immer darauf an, ob ein Begünstigungswille des Erblassers zu ermitteln ist.
Rz. 89
Der Vorausvermächtnisnehmer kann den ihm zugewiesenen Gegenstand bereits mit Fälligkeit seines Anspruches verlangen. Er braucht mit der Geltendmachung seines Anspruchs (anders als bei einer Teilungsanordnung) nicht bis zur Auseinandersetzung zu warten.
Rz. 90
Der Erblasser kann nach herrschender Meinung Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis miteinander kombinieren. Man spricht dann von einer sog. überquotalen Teilungsanordnung. In diesen Fällen ist stets zu prüfen, ob der Erblasser dem Begünstigen einen Mehrwert zukommen lassen wollte. Ist dies der Fall, stellt die überquotale Zuweisung ein Vorausvermächtnis dar. War dies nach Auslegung nicht gewollt, liegt unter Umständen eine Teilungsanordnung vor.
cc) Vor- und Nachvermächtnis
Rz. 91
Das Nachvermächtnis ist geregelt in § 2191 BGB: Hat der Erblasser einem Begünstigten (dem Vorvermächtnisnehmer) einen Nachlassgegenstand vermächtnisweise zugewiesen und weiter bestimmt, dass der Gegenstand mit Eintritt eines bestimmten Ereignisses einem Dritten (dem Nachvermächtnisnehmer) zufallen soll, spricht man von einem Vor- und Nachvermächtnis. Seinem Wesen nach ist das Vor- und Nachvermächtnis der Vor- und Nacherbschaft nachempfunden. Grundsätzlich finden daher die Regelungen, die für die Einsetzung eines Nacherben gelten, Anwendung (§§ 2102, 2106 Abs. 1, 2107, 2110 Abs. 2 BGB). Der wesentliche Unterschied liegt allerdings darin, dass der Nachvermächtnisnehmer mit dem Vermächtnisanfall lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch erlangt, wohingegen der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalles vollwertiger E...