Julia Roglmeier, Dr. Christopher Riedel
1. Europäische Erbrechtsverordnung
Rz. 9
Auf alle Erbfälle ab dem 17.8.2015 findet die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) Anwendung. Sie kommt in allen EU-Staaten außer Großbritannien, Irland und Dänemark zur Anwendung und gilt auch im Verhältnis zu Staatsangehörigen oder Ansässigen außerhalb der teilnehmenden Staaten, Art. 20 EuErbVO. Für Entscheidungen in Erbsachen sind seit dem Stichtag für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, Art. 4 EuErbVO.
Rz. 10
Testamentarische oder erbvertragliche Rechtswahlklauseln sind möglich: Anstelle des Rechts des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, kann er für seine Rechtsnachfolge von Todes wegen auch das Recht des Staates wählen, dem er im Zeitpunkt der Rechtswahl oder im Zeitpunkt seines Todes angehört, Art. 22 Abs. 1 S. 1 EuErbVO.
Die Verordnung versagt dem Erblasser allerdings die Möglichkeit, neben dem anwendbaren Heimatrecht die dortigen Gerichte zu prorogieren. Eine Gerichtsstandsvereinbarung der betroffenen Parteien ist allerdings dann möglich, wenn der Erblasser nach Art. 22 EuErbVO eine Rechtswahl bezüglich der Anwendung des materiellen Rechts eines Mitgliedstaats für seine Rechtsnachfolge von Todes wegen getroffen hat. Ist dies der Fall, können die Beteiligten vereinbaren, dass für Entscheidungen in Erbsachen ausschließlich ein Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig sein sollen.
Rz. 11
Das deutsche Kollisionsrecht hat sich für Erbfälle vor dem 17.8.2015 bezüglich des Erbrechts (Sachrecht) für das Heimatrecht des Erblassers entschieden (Staatsangehörigkeitsprinzip). Die Grundregel von Art. 25 Abs. 1 EGBGB bestimmt: Die Erbfolge einer Person richtet sich nach dem Recht des Staates, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes angehörte.
Bei Personen mit deutscher und ausländischer Staatsangehörigkeit geht nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB die deutsche Staatsangehörigkeit vor. Im Falle von staatenlosen Personen wird nach Art. 12 des New Yorker Übereinkommens über die Rechtsstellung Staatenloser vom 28.9.1954 an das Recht des Landes seines Wohnsitzes oder, in Ermangelung eines solchen, an das Land seines Aufenthaltes angeknüpft. Soweit dieses Übereinkommen nicht greift, gilt Art. 5 Abs. 2 EGBGB, wonach das Recht des Landes des gewöhnlichen Aufenthalts gilt. Fehlt es auch daran, so kommt es auf den schlichten Aufenthalt an.
2. Testierfreiheit
Rz. 12
Wie bereits erwähnt, muss bei der Erstellung einer Verfügung von Todes wegen zunächst immer geprüft werden, ob der spätere Erblasser überhaupt noch letztwillig verfügen darf, sprich testierfrei ist. Unter Testierfreiheit versteht man die Fähigkeit und Berechtigung, frei zu bestimmen, an welche Personen mit Eintritt des Erbfalles der Nachlass fallen soll. Die Testierfreiheit unterfällt dem verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und stellt eines der Grundprinzipien und unantastbaren Wesensgehalte des Erbrechts dar.
Rz. 13
Die Testierfreiheit gilt allerdings nicht schrankenlos. Sie wird ihrerseits begrenzt durch die wiederum verfassungsrechtlich geschützte Mindestteilhabe am Nachlass (dem Pflichtteil) und durch die Bindungswirkung früherer gemeinschaftlicher Testamente (§§ 2265 ff. BGB) und Erbverträge (§§ 2274 ff. BGB). In den letzten beiden Fällen hat der Erblasser gleichsam selbst auf seine Testierfreiheit verzichtet, in dem er in einer der vorgenannten Verfügungen von Todes wegen für sich frei entschieden hat, sich erbrechtlich binden zu wollen. Der Erbvertragspartner bzw. der Ehegatte (eingetragene Lebenspartner) darf dann darauf vertrauen, dass die einst getroffenen Regelungen wechselbezüglich und bindend sind. Die Neuerrichtung einer letztwilligen Verfügung ist hier nicht mehr ohne weiteres möglich. Ausgenommen sind testamentarische (erbvertragliche) Öffnungs- oder Rücktrittsklauseln und die Möglichkeit eines Widerrufs zu Lebzeiten nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB (notariell beurkundeter Widerruf in Form einer empfangsbedürftigen Willenserklärung).
Rz. 14
Personen, die nicht lesen oder schreiben können, sind ebenfalls in ihrer Testierfreiheit eingeschränkt: Sie können kein eigenhändiges Testament errichten. Ihnen steht allerdings die Möglichkeit der Testamentserrichtung durch mündliche Erklärung vor einem Notar offen, § 2233 Abs. 2 BGB. Gegebenenfalls muss beim Verlesen ein zweiter Notar oder ein Zeuge hinzugezogen werden, § 25 BeurkG.
Rz. 15
Abzugrenzen von der Testierfreiheit sind Fragen der Testierfähigkeit. Die Testierfähigkeit stellt einen Unterfall der Geschäftsfähigkeit dar. Unter Testierfähigkeit versteht man die Befähigung, eine Verfügung von Todes wegen rechtswirksam zu errichten, zu ändern oder aufzuheben. Eine eingeschränkte oder partielle Testierfähigkeit gibt es nicht. Umgekehrt kann allerdings ...