Rz. 355
Mit § 37 BDSG-Neu normiert der deutsche Gesetzgeber partiell einen Anwendungsfall des Art. 22 Abs. 2 lit. a) DSGVO und gestattet, automatisierte Entscheidungen im Einzelfall im Rahmen der Leistungserbringung nach einem Versicherungsvertrag. Die Regelung stellt sich deshalb nur als "partiell" von Art. 22 Abs. 2 lit. a) DSGVO umfasst dar, weil dort ein Vertragsverhältnis "mit der betroffenen Person" gefordert wird, während § 37 Abs. 1 BDSG-Neu lediglich die Leistungserbringung nach einem Versicherungsvertrag voraussetzt. Damit stellt er gerade nicht darauf ab, dass der Vertrag auch mit der betroffenen Person "als Vertragspartner" abgeschlossen wurde. Insoweit kann die betroffene Person zwar zugleich Vertragspartner des Versicherungsunternehmens sein, muss es aber nicht. Gerade im Versicherungsrecht wird die betroffene Person oft eine vom Vertragspartner verschiedene Person sein, so im Rahmen der Schadensregulierung von Haftpflichtschäden oder auch der Leistungserbringung innerhalb der Privaten Krankenversicherung gegenüber mitversicherten Familienangehörigen des Vertragspartners. § 37 BDSG-Neu trägt daher den spezifischen Belangen der Versicherungswirtschaft Rechnung.
Rz. 356
Nach heute gültiger Rechtslage sind automatisierte Einzelentscheidungen gemäß § 6a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BDSG generell zulässig, sofern im Rahmen eines Vertragsverhältnisses dem Begehren der betroffenen Person stattgegeben wird. Eine Beschränkung auf Fälle der Leistungserbringung in einem Versicherungsvertrag bestand bisher nicht. Der Bundesrat hatte eine Öffnung des § 37 Abs. 1 Nr. 1 BDSG-Neu und die generelle Zulässigkeit positiver automatisierter Einzelentscheidungen für alle Vertragsarten eingefordert. Er konnte sich im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens jedoch (noch) nicht durchsetzen.
a) Vollumfänglich stattgebende Entscheidung über eine Leistungsantrag der betroffenen Person, § 37 Abs. 1 Nr. 1 BDSG-Neu
Rz. 357
Nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 BDSG-Neu soll die automatisierte Entscheidung im Einzelfall im Rahmen der Leistungserbringung nach einem Versicherungsvertrag zulässig sein, wenn dem Begehren der betroffenen Person stattgegeben wurde. Die Ausnahmeregelungen findet sich bereits in § 6a Abs. 2 Nr. 1 BDSG. Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahmeregelung ist neben der Leistungserbringung nach einem Versicherungsvertrag, ein an den Verantwortlichen gerichteter Leistungsantrag (=Begehren) der von der Entscheidungsfindung betroffenen Person. § 37 Abs. 1 Nr. 1 BDSG-Neu ermöglicht z.B. die automatisierte Schadensregulierung zwischen der Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers und dem Geschädigten. Voraussetzung ist, dass dem Begehren des Antragstellers, der gleichzeitig datenschutzrechtlich die betroffene Person ist, vollumfänglich und nicht bloß teilweise entsprochen wird. Kommt es zu einer Ablehnung des Leistungsbegehrens ist der Verantwortliche dazu angehalten, die Entscheidungsfindung erneut durch einen Mitarbeiter des Versicherungsunternehmens aktiv im Rahmen der Einzelfallprüfung vorzunehmen. Eine Zurückweisung der Leistung auf Grundlage einer automatisierten Entscheidung darf daher nicht erfolgen; sie darf der betroffenen Person auch nicht übermittelt oder in sonstiger Weise mitgeteilt werden.
b) Entscheidung auf Grundlage von verbindlichen Entgeltregelungen für Heilbehandlungen
Rz. 358
Dies gilt nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 BDSG–Neu nicht, wenn die Entscheidung auf der Anwendung verbindlicher Entgeltregelungen für Heilbehandlungen beruht und der Verantwortliche für den Fall, dass dem Antrag nicht vollumfänglich stattgegeben wird, angemessene Maßnahmen zur Wahrung der berechtigten Interessen der betroffenen Person trifft, wozu mindestens das Recht auf Erwirkung des Eingreifens einer Person seitens des Verantwortlichen, auf Darlegung des eigenen Standpunktes und auf Anfechtung der Entscheidung zählt, worüber der Verantwortliche die betroffene Person spätestens im Zeitpunkt der Mitteilung, aus der sich ergibt, dass dem Antrag der betroffenen Person nicht vollumfänglich stattgegeben wird, zu informieren hat.
Rz. 359
Die Regelung in § 37 Abs. 2 Nr. 2 BDSG-Neu erfordert, dass sich die Entscheidung auf die Erstattung von Heilbehandlungskosten stützt, die auf der Anwendung verbindlicher Entgeltregelungen für Heilbehandlungen beruhen. Als solche kommen die Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ), die Gebührenordnung für Zahnärzte (GoZ), die Gebührenordnung für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (GOP) oder auch die DRG-Fallpauschalen für Krankenhausabrechnungen in Betracht, nicht jedoch die BEB Zahntechnik.
Rz. 360
Das in § 37 Abs. 1 Nr. 2 BDSG-Neu normierte Recht des Betroffenen, im Fall der automatisierten vollständigen oder teilweisen Leistungsablehnung das Eingreifen einer Person seitens des Verantwortlichen zu verlangen, begegnet der Gefahr, dass ei...