Rz. 191
Im Rahmen der Interessenabwägung kann zwar zunächst jedes im Rahmen der Rechtsordnung zulässigerweise verfolgte Interesse als "berechtigt" angesehen und in den Abwägungsvorgang eingestellt werden, gleichwohl sollte der Stellenwert des konkret verfolgten Verantwortlichen-Interesses genau bestimmt werden.
aa) Wahrnehmung eigener Grundrechtspositionen oder Grundfreiheiten
Rz. 192
So können der Verantwortliche oder der Dritte mit der Verfolgung ihres Interesses ihrerseits zugleich grundrechtlich geschützte Ziele verfolgen oder die Wahrnehmung von Grundfreiheiten beabsichtigen, so dass innerhalb der nach Art. 6 Abs. 1 lt. f) DSGVO vorzunehmenden Interessenabwägung eine Normenkollision von Grundrechten in Betracht kommt, bei der grundrechtlich geschützte Rechtsgüter des Verantwortlichen (oder eines Dritten) und grundrechtlich geschützte Rechtsgüter der von der Verarbeitung betroffenen Person gegeneinander abgewogen werden müssen. Dabei gilt auch in der datenschutzrechtlichen Betrachtung, dass die Problemlösung in einer Weise erfolgen muss, dass die beiden Grundrechtspositionen "zu einer optimalen Wirksamkeit gelangen können" Dabei darf nicht eines der Grundrechte auf Kosten des anderen im Sinne einer vorschnellen Güterabwägung realisiert werden. Vielmehr erfordert das Prinzip der Einheit der in der GRCh dargelegten Grundrechte im Ausgangspunkt eine "simultane Optimierung" beider Rechtspositionen.
Rz. 193
Ebenso (wie auf Seiten des Betroffenen) kann ein vom Verantwortlichen (oder einem Dritten) verfolgtes "berechtigtes Interesse" zugleich z.B. in
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der Wahrnehmung der "Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit", |
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der "Freiheit von Kunst und Wissenschaft", |
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"der Gedanken-, Gewissens- und Regionsfreiheit", |
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der "unternehmerischen Freiheit" oder |
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des "Eigentumsrechts" |
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usw. |
liegen.
bb) Öffentliche Interessen
Rz. 194
Das Interesse des Verantwortlichen kann sich zudem mit einem "öffentlichen" Interesse "verbinden". Dies ist nicht zu verwechseln mit einem vom Verantwortlichen verfolgten "Drittinteresse", da sich dieses auf das eines bestimmten Dritten richten muss. Ein "Informationsinteresse der Öffentlichkeit" findet sich oft im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, nicht nur – aber häufig – im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Presse. Denkbar sind derartige parallele öffentliche Interessen auch im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung von Verbraucherschutzorganisationen und sonstigen Interessenvertretungen, aber auch im Bereich der vornehmlich durch private Interessen geleiteten Verarbeitungen.
Rz. 195
Verarbeitungen können dabei, insbesondere in Form des Erfassens und Offenlegens, unter Berücksichtigung eines "berechtigen Interesses" zugleich ein bestehendes "schutzwürdiges Interesse der Allgemeinheit" fördern.
(1) Informationsvermittlungen durch Verbraucherzentralen
Rz. 196
Ein Beispiel aus Deutschland ist hier ein durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördertes Projekt des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände (Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv)) im Bereich der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln. Über das Internetprotal lebensmittelklarheit.de bietet der vzbv Verbraucherinnen und Verbrauchern, die sich durch die Aufmachung von Produkten oder die Werbung dafür getäuscht fühlen, die Möglichkeit, sich aktiv in den Diskussionsprozess über die unklare Kennzeichnung von Lebensmitteln oder über irreführende Produktaufmachungen einzubringen. Der Verbraucherzentrale-Bundesverband und die Verbraucherzentralen veröffentlichen hierüber entsprechende Beschwerden. Auch wenn das Portal vornehmlich Produkte großer Hersteller adressiert, sind die Beschwerdemöglichkeiten hier durchaus nicht auf solche P...