Philipp Schlemmer, Dr. Gabriele Bruchmann
Rz. 149
Vorgaben für die Beschaffenheit von Bürgschaften bei VOB/B-Verträgen enthält die Bestimmung des § 17 Abs. 4 VOB/B. Daneben gelten auch die §§ 232–240 BGB, soweit in § 17 Abs. 2–8 VOB/B nichts anderes bestimmt ist.
Rz. 150
Nach § 17 Abs. 4 VOB/B müssen bei der Bürgschaft folgende Anforderungen erfüllt sein:
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Tauglichkeit des Bürgen (S. 1); |
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schriftliche, selbstschuldnerische Bürgschaft (Verzicht auf die Einrede der Vorausklage) (S. 2); |
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keine zeitliche Begrenzung (S. 2 Hs. 2); |
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Ausstellung nach den Vorschriften des Bestellers (S. 2 Hs. 2); |
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keine Zahlung auf erstes Anfordern (S. 3). |
Rz. 151
Da § 17 Abs. 4 VOB/B die Beschaffenheitskriterien für eine Bürgschaft nur zugunsten des Bestellers regelt, wenn die Erbringung einer Sicherheitsleistung nach der VOB/B vereinbart wurde, bedarf es bei der Vereinbarung einer Sicherheitsleistung zugunsten des Unternehmers einer ausdrücklichen Regelung, falls die Kriterien des § 17 Abs. 4 VOB/B auch für die Ausgestaltung einer solchen Bürgschaft einschlägig sein sollen, dies auch für einen Bauvertrag auf der Basis des BGB.
Rz. 152
Soweit die unter § 17 Abs. 4 VOB/B angeführten Vorgaben nicht in der Sicherungsabrede vereinbart sind, richten sich die Anforderungen nach §§ 232 Abs. 2, 239 BGB. Die Parteien können jedoch auch im Einzelfall Regelungen treffen, die von den §§ 232 ff. BGB und § 17 VOB/B abweichen.
(1) Tauglicher Bürge (§ 17 Abs. 4 S. 1 VOB/B)
Rz. 153
Die Forderung nach einem tauglichen Bürgen entspricht grundsätzlich derjenigen in § 232 Abs. 2 BGB. Danach muss der Bürge ein der Höhe der zu leistenden Sicherheit angemessenes Vermögen besitzen und seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland haben. Auch ein Gerichtsstand innerhalb der Europäischen Union kann dabei ausreichen, wie die Konkretisierung in § 17 Abs. 2 VOB/B zeigt. Danach genügt die Bürgschaft eines Kreditinstitutes oder Kreditversicherers mit Sitz in der Europäischen Union, in einem Staat des europäischen Wirtschaftsraumes oder in einem Staat des WTO-Abkommens über das öffentliche Beschaffungswesen. § 17 Abs. 2 VOB/B ändert damit den § 239 Abs. 2 BGB ab und geht in einem VOB/B-Vertrag als die speziellere Regelung vor.
(2) Schriftliche selbstschuldnerische Bürgschaft (§ 17 Abs. 4 S. 2 VOB/B)
Rz. 154
Grundsätzlich ist die Schriftlichkeit der Bürgschaftserklärung nichts Besonderes, da diese Regelung derjenigen in § 766 S. 1 BGB entspricht. Ist der Bürge jedoch Kaufmann, kann nach § 350 HGB eine Bürgschaft auch ohne Einhaltung der Schriftform erteilt werden.
Rz. 155
Die weiteren Anforderungen an eine selbstschuldnerische Bürgschaft stimmen mit denjenigen in § 239 Abs. 2 BGB überein. Danach genügt eine Bürgschaft den Anforderungen der VOB/B nur dann, wenn der Bürge auf die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB verzichtet.
(3) Keine zeitliche Begrenzung der Bürgschaft (§ 17 Abs. 4 S. 2 letzter Hs. VOB/B)
Rz. 156
Die Bürgschaft darf keinen über den Zeitpunkt ihrer Ausstellung hinausgehenden Anfangs- oder Endzeitpunkt haben. Andernfalls wäre die Abwicklung noch rechtzeitig geltend gemachter Ansprüche über den vertraglich vereinbarten Rückgabezeitpunkt hinaus gefährdet.
(4) Ausstellung nach Vorschrift des Bestellers
Rz. 157
Weder der Bürge noch der Unternehmer kann Einfluss auf die Gestaltung der Bürgschaft nehmen. Allein der Besteller kann in zulässigem Rahmen Zweck, Höhe, Wortlaut und Form der Bürgschaft im Rahmen des vereinbarten Sicherungszwecks festlegen.
(5) Bürgschaft auf erstes Anfordern
Rz. 158
Liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bestellers vor, stellt die Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern eine unangemessene Benachteiligung des Verwendungsgegners aufgrund des damit einhergehenden Zins- und Insolvenzrisikos dar und ist damit grundsätzlich unwirksam (sog. qualitative Übersicherung). In diesem Fall kommt auch keine geltungserhaltende Reduktion oder ergänzende Vertragsauslegung in Betracht.
Dies gilt zunächst uneingeschränkt bei einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern, selbst dann, wenn die weiteren Sicherungsmittel des § 17 Abs. 3 VOB/B – insbesondere die Einzahlung der Sicherheit auf ein Sperrkonto nach § 17 Abs. 6 VOB/B – verbleiben, da die Bürgschaft auf erstes Anfordern aufgrund ihrer leichten Verwertbarkeit praktisch Bargeldfunktion besitzt. Selbst wenn daher die Sicherungsvariante Sperrkonto verbleibt, würde letztendlich nur "Bargeld gegen Bargeld" getauscht, was den Unternehmer unangemessen benachteiligen würde.
Auch eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern führt zu einer solchen Benachteiligung, da das Interesse des Bestellers, durch ein vertragswidriges Verhalten des Unternehmers nicht selbst in Liquidationsschwierigkeiten zu geraten, nicht rechtfertigt, dieses Liquiditätsrisiko durch Allgemeine Geschäftsbedingungen einseitig auf den Unternehmer zu verlagern. Denn durch eine unberechtigte Inanspruchnahme einer solchen Bürgschaft würde dem Unternehmer im selben Umfang Liquidität entzogen, zumal er über die schon bestehende Vorleistungspflicht hinaus das weitere Risiko der Insolvenz des Bestellers bei der nachfolgenden Durchsetzung seiner Rückforderungsansprüche tragen würde.
Anders liegt der Fall dagegen bei einer Vorauszahlungsbürgschaft auf...