Philipp Schlemmer, Dr. Gabriele Bruchmann
1. Sachlicher Anwendungsbereich
Rz. 110
§ 650d BGB gilt nicht für Werklohnansprüche oder Abschlagsforderungen allgemein, sondern nur für Nachträge aus BGB-Bauverträgen (abgeschlossen ab 1.1.2018), die auf Anordnungen nach § 650b BGB oder Vergütungsanpassungen nach § 650c BGB zurückzuführen sind.
Gemäß dem eindeutigen Wortlaut in § 650q Abs. 1 BGB und 650u Abs. 2 BGB ist § 650d BGB nicht auf Architekten- und Ingenieurverträge sowie Bauträgerverträge anwendbar, wohl aber auf Verbraucherbauverträge (§ 650i Abs. 3 BGB).
2. Streitigkeiten über das Anordnungsrecht nach § 650b BGB oder die Vergütungsanpassung nach§ 650c BGB
Rz. 111
§ 650d BGB zielt nach der Gesetzesvorlage auf eine Erleichterung des Erlasses einstweiliger Verfügungen (§§ 935, 940 ZPO) ab, insbesondere zur Durchsetzung von Forderungen des Unternehmers, aber nur im Zusammenhang mit Streitigkeiten über das
die nach Beginn der Bauausführung und vor Fertigstellung der Leistungen geführt werden. Damit soll dem vorleistungspflichtigen Unternehmer schnell ein Titel über einen geänderten Abschlagszahlungsanspruch oder die entsprechende Sicherheit verschafft werden. Trotz dieser Zielsetzung in der Gesetzesvorlage kann sich nicht nur der Unternehmer, sondern auch der Besteller auf diese Vorschrift berufen, wenn es z.B. um Streitigkeiten hinsichtlich der Durchsetzbarkeit von Anordnungen nach § 650b BGB geht.
3. Entbehrlichkeit Verfügungsgrund
Rz. 112
Streiten die Parteien daher über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Abs. 2 BGB (Muss der Unternehmer einer Anordnung nachkommen? Ist die Anordnung für ihn zumutbar?) oder über die Höhe einer Vergütungsanpassung (z.B. bei Streitigkeiten über die Höhe der zu leistenden Abschlagszahlungen, berechnet nach § 650c Abs. 3 BGB bzw. § 650c Abs. 1 und 2 BGB) und einer zu gewährenden Sicherheit (falls die Parteien sich über die Mehr- oder Mindervergütung infolge einer Änderung nicht geeinigt haben), ist es im Interesse einer raschen Einigung nicht erforderlich, dass der Verfügungsgrund (also die Begründung der Eilbedürftigkeit des Antrags) glaubhaft gemacht wird. Durch den Wegfall der Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes wird das Bestehen der Dringlichkeit widerleglich vermutet und damit die Erlangung des einstweiligen Rechtsschutzes erleichtert.
Rz. 113
Nur der Verfügungsanspruch muss weiterhin geltend gemacht werden, d.h. die Rechtmäßigkeit einer Anordnung des Bestellers nach § 650b Abs. 2 BGB oder die Rechtmäßigkeit der Höhe einer Vergütungsanpassung nach § 650c Abs. 1–3 BGB. Dieser Verfügungsanspruch ist die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, auf deren Basis die einstweilige Verfügung ergehen soll.
Rz. 114
Begründet wurde der Verzicht auf die Darlegung des Verfügungsgrundes zum einen damit, dass der grundsätzlich vorleistungspflichtige Unternehmer in besonderem Maße auf Liquidität angewiesen sei, dies insbesondere auch, wenn aufgrund der Anordnung des Bestellers erhebliche Kostensteigerungen einträten. Zum anderen rechtfertige sich der Verzicht auf die Darlegung der besonderen Dringlichkeit bei der Durchsetzung von Anordnungen des Bestellers damit, dass sich am Bau ständig die Sachlage ändere und vollendete Tatsachen geschaffen würden, wenn ohne vorherige gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung weitergebaut würde.
Rz. 115
Dennoch mehren sich kritische Stimmen, die anführen, dass allein das Entfallen der Darlegung der besonderen Dringlichkeit dem Antragsteller im Rahmen einer einstweiligen Verfügung kaum helfen kann, wenn der Verfügungsanspruch – nämlich besonders die geltend gemachte Mehrvergütung – gerade nicht glaubhaft gemacht werden kann. Die technisch und baubetrieblich diffizilen Fragestellungen, ob z.B. tatsächlich eine Änderung des Vertrages vorliegt oder ob die nach § 650c Abs. 2 BGB fortgeschriebene Vergütung den tatsächlich erforderlichen Kosten und angemessenen Zuschlägen entspricht, ist mit den Mitteln des einstweiligen Verfügungsverfahrens (Glaubhaftmachung und präsente Beweismittel) kaum zu bewältigen.
Rz. 116
Andererseits kann auch dahingehend argumentiert werden, dass die besondere Dringlichkeit gerade doch dargelegt werden solle, um einer Widerlegbarkeit des Verfügungsgrundes durch den Antragsgegner von vorneherein entgegenzutreten. Es ist dem Antragsteller daher auch immer zu raten, glaubhaft zu machen, dass bei Nichtgewährung der einstweiligen Verfügung ein erheblicher Nachteil droht, der später möglicherweise nicht mehr ausgeglichen werden kann.
Auch ist Bestellern zukünftig zu raten, vorsorglich Schutzschriften bei Gericht einzureichen und zu verwalten, um im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zumindest eine mündliche Verhandlung zu erzwingen.