Christoph Teichmann, Ralf Knaier
Rz. 131
Erst im Jahre 2017 wurde in der Rs. Polbud vom EuGH die Frage entschieden, ob eine tatsächliche wirtschaftliche Aktivität im Zuzugsstaat seitens der formwechselwilligen Gesellschaft bestehen oder angestrebt werden muss oder ob auch eine isolierte Satzungssitzverlegung möglich ist. Zuvor wurde nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit empfohlen, den Verwaltungssitz der Gesellschaft in den Zielstaat zu verlegen. Dies sollte nicht nur aus unternehmerischer Perspektive eine ausreichende Grundlage für die wirtschaftliche Entscheidung bieten, das Unternehmen in eine Rechtsform des Auslandes umzuwandeln, vielmehr sollte dadurch – wie in der Moor-Park-II-Entscheidung des OLG Nürnberg angedeutet – der Formwechsel im Zielstaat erleichtert werden. Falls eine Verlegung des Verwaltungssitzes nicht vor der Verlegung des Satzungssitzes durchführbar war, sollte zumindest im Herkunftsstaat eine Versicherung über die angestrebte wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat abgegeben werden.
Rz. 132
Diese frühere Meinung bezog sich wesentlich auf die Einschränkung in der VALE Entscheidung des EuGH, der dort entschieden hat:
"In Bezug auf das Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist darauf hinzuweisen, dass der Niederlassungsbegriff im Sinne der Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung im Aufnahmemitgliedstaat auf unbestimmte Zeit impliziert. Daher setzt er eine tatsächliche Ansiedlung der betreffenden Gesellschaft und die Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat voraus (Urt. v. 12.9.2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C-196/04, Slg. 2006, I-7995, Rn 54 und die dort angeführte Rechtsprechung)." Allerdings verlangt das deutsche Recht schon seit dem Jahre 2008 für die GmbH keinen inländischen Verwaltungssitz mehr, weshalb ein solches Verlangen gegenüber einer aus dem Ausland zuziehenden Gesellschaft schon am unionsrechtlichen Diskriminierungsverbot scheitern musste.
Rz. 133
In der Polbud-Entscheidung stellte der EuGH fest, dass der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit immer dann eröffnet ist, wenn eine Gesellschaft einen grenzüberschreitenden Formwechsel mit dem Ziel anstrebt, mit der künftig ausländischem Recht unterliegenden Gesellschaft eine inländische Niederlassung zu betreiben. Der grenzüberschreitende Formwechsel setzt dabei nicht voraus, dass im Zuzugsstaat der Verwaltungssitz angesiedelt wird. Der Zuzugsstaat kann eine solche Anforderung allerdings festlegen. Denn jeder Mitgliedstaat entscheidet autonom über das Anknüpfungskriterium, das für eine Anwendung des eigenen Gesellschaftsrechts erfüllt sein muss. Im Verlegungsplan eines Hineinformwechsels ist vor diesem Hintergrund keine Klausel über eine (angestrebte) wirtschaftliche Tätigkeit im Zuzugsstaat erforderlich, ebenso wenig wie dies bei der Anmeldung der grenzüberschreitenden Sitzverlegung versichert werden muss.