Rz. 293
a) Arbeitsrecht – Nichtanwendbarkeit des AÜG
Rz. 294
Nach ganz überwiegender Meinung scheidet Arbeitnehmerüberlassung i.S.v. § 1 AÜG von vornherein aus, wenn der Überlassene kein Arbeitnehmer ist. Die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG – Arbeitnehmereigenschaft des Überlassenen – ist dann nicht gegeben. Selbstständige können nicht als Leiharbeitnehmer an Entleiher überlassen werden. Der Erlaubnispflicht unterliegt nicht die Zurverfügungstellung Selbstständiger. Die Rechtsfolge des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG kann nicht entsprechend auf den Fall eines freien aber wirtschaftlich abhängigen Mitarbeiters angewendet werden.
Die Neufassung des § 1 AÜG hält dementsprechend im neu eingefügten § 1 Abs. 1 S. 3 AÜG klarstellend fest:
Die Überlassung und das Tätigwerden von Arbeitnehmern ist nur zulässig, soweit zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht.
Ist indes die Selbstständigkeit gegeben, kommt es für die Prüfung/Gestaltung der Rechtsbeziehungen und Vertragsverhältnisse im Grundsatz weder darauf an, ob der Verleiher eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hat und seiner Kennzeichnungspflicht nach der neuen Rechtslage gem. § 1 Abs. 1 S. 5 u. 6 AÜG nachgekommen ist, noch um welches Rechtsverhältnis es sich letztlich zwischen dem Dienstleistungs-/Beratungsunternehmen und dem Drittunternehmen (Kunden) handelt. Selbstständigen-Überlassung kann grundsätzlich keine Arbeitnehmer-Überlassung sein. Das widerspricht sich.
Rz. 295
Im ersten Schritt ist daher zunächst stets das Rechtsverhältnis zwischen dem Mitarbeiter (Arbeitnehmer oder Freelancer/Solo-Selbstständiger) und dem Beratungs- oder Dienstleistungsunternehmen zu betrachten.
Dabei ist die Rechtsprechung des EuGH zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere Person nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält, wobei die rechtliche Einordnung dieses Verhältnisses nach nationalem Recht und seine Ausgestaltung sowie die Art der zwischen beiden Personen bestehenden Rechtsbeziehung insoweit nicht ausschlaggebend sind. Aus Art. 1 I der RL 2008/104 sowie aus ihrem Art. 3 I Buchst. c, der den Begriff "Leiharbeitnehmer" bestimmt, ergibt sich außerdem, dass die Richtlinie nicht nur auf diejenigen Arbeitnehmer Anwendung findet, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, sondern auch auf diejenigen, die mit einem solchen Unternehmen ein "Beschäftigungsverhältnis "eingegangen sind. Daraus folgt, dass weder die rechtliche Einordnung des zwischen der betreffenden Person und dem Leiharbeitsunternehmen bestehenden Verhältnisses nach nationalem Recht noch die Art ihrer Rechtsbeziehungen, noch die Ausgestaltung dieses Verhältnisses ausschlaggebend ist für die Bezeichnung dieser Person als Arbeitnehmer im Sinne der RL 2008/104. Haben die Parteien ein Arbeitsverhältnis vereinbart, ist dieses regelmäßig als solches einzuordnen. Eine weitere Prüfung des ersten Schritts ist dann nicht erforderlich.
Rz. 296
Ansonsten ist für die rechtliche Einordnung des Rechtsverhältnisses des Solo-Selbstständigen zu seinem Auftraggeber im Ausgangspunkt zunächst die Abgrenzung zum arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff nach § 611a BGB n.F. mit den oben aufgeführten Abgrenzungsschwierigkeiten maßgeblich (s. § 3 Rdn 1 und 34 f.). Entscheidend ist eine sorgfältige und an der tatsächlichen Durchführung der Vertragsbeziehung festgemachte Abgrenzung zwischen Dienst- oder Werkvertrag einerseits und Arbeitsverhältnis andererseits (s. im Einzelnen zur Abgrenzung ausführlich oben § 3 Rdn 17 ff.).
Rz. 297
Dabei ist die Vertragstypenwahl von nicht unbeachtlicher Relevanz. Dies hat das BAG in seiner Entscheidung vom 9.6.2010 ausdrücklich klargestellt, und u.a. in seiner Entscheidung vom 17.10.2017 bestätigt. Wenn die vereinbarte Tätigkeit typologisch sowohl in einem Arbeitsverhältnis als auch selbstständig erbracht werden kann, sei die Entscheidung der Vertragsparteien für einen bestimmten Vertragstypus im Rahmen der bei jeder Statusbeurteilung erforderlichen Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Das LAG Düsseldorf geht noch einen Schritt weiter: In diesem Fall müssten sich die Parteien grundsätzlich an dem von ihnen gewählten Vertragstypus festhalten lassen, wenn die tatsächliche Handhabung der Vertragsbeziehung nicht zwingend für ein Arbeitsverhältnis spreche.
Rz. 298
Beispiel
Ein Consulting-Unternehmen schließt einen Unternehmensberatungsvertrag mit einem Telekommunikations-Unternehmen und wickelt diesen Dienst- (oder Werkvertrag) mit hochqualifizierten IT-Spezialisten (Solo-Selbstständigen) auf Basis eines mit diesen abgeschlossenen Freien Mitarbeiter-Vertrags in der Form eines Dienstvertrages ab.
Diese Gestaltung außerhalb des AÜG ist bei Einhaltung der Abgrenzungskriterien des § 611a BGB n.F. in Zusammenhang mit der Beachtung der einsc...