a) Gesetz
Rz. 75
Die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung des Solo-Selbstständigen, ob es sich um echte Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit handelt, erfolgt nicht über § 611a BGB, sondern über den Beschäftigtenbegriff in § 7 Abs. 1 SGB IV:
Beschäftigung ist danach die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Dabei soll es sich, wie ausdrücklich im Gesetzeswortlaut wiedergegeben, um Anhaltspunkte, also nicht um eine abschließende Bewertung handeln.
Rz. 76
Praxishinweis
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Diese recht unscharfe Gesetzeslage führt dazu, dass vielfach – zumindest in schwierigen Abgrenzungsfällen – die letztlich von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vorzunehmenden Entscheidungen zur Sozialversicherungspflicht oder Sozialversicherungsfreiheit auf dem Weg durch die Instanzen kaum sicher vorherzusehen sind. |
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Erschwerend kommt hinzu, dass kein vollständiger Gleichklang des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigtenbegriffs mit dem Begriff in anderen Rechtsgebieten, wie dem Arbeits- und Steuerrecht, besteht. |
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Die Praxis muss mit erheblichen Rechtsunsicherheiten arbeiten. |
b) Rechtsprechung
Rz. 77
Entscheidend für die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung sind damit im Ergebnis die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Kriterien. Arbeitnehmer i.S.d. Sozialversicherungsrechtes ist danach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Persönliche Abhängigkeit erfordert Eingliederung in den Betrieb und Unterordnung unter das Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung.
Rz. 78
Praxishinweis zum Merkmal der Eingliederung
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Das in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV enthaltene Merkmal der Eingliederung ist in der Definition des § 611a BGB, die seit 1.4.2017 gilt, nicht genannt. |
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Damit hat der Gesetzgeber bewusst von einer Vereinheitlichung abgesehen. |
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Diese (erneute und kaum nachvollziehbare) Unterschiedlichkeit im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht durch den Gesetzgeber hat zu Recht zu Irritationen geführt. |
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Das BSG musste dies klären, mit folgendem Ergebnis: Das Merkmal der Eingliederung für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV steht nicht infrage. |
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Dies unterstreicht, dass die Definitionen im Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht nicht deckungsgleich sind. |
Rz. 79
Stellt der Auftraggeber die wesentlichen Arbeitsmittel, ohne die die Tätigkeit nicht erbracht werden kann, liegt grundsätzlich abhängige Beschäftigung vor. Bei Diensten höherer Art kann es ausreichen, dass der Mitarbeiter funktionsgerecht dienend am Arbeitsprozess des Arbeitgebers teilhat – sog. "zur funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinertes Weisungsrecht". Dies kann selbst dann gelten und damit zur Sozialversicherungspflicht führen, wenn Steuerberatertätigkeiten zu Hause für Mandanten einer Steuerkanzlei erledigt werden. Umgekehrt kann es sozialversicherungsrechtlich unschädlich sein, wenn ein Steuerberater in den Räumlichkeiten eines Kollegen arbeitet, wenn er dabei nicht in die Betriebsorganisation der Kanzlei eingegliedert ist. Berufsrechtliche – im Entscheidungsfall steuerberatungsrechtliche – Weisungsrechte sind nicht vom Begriff der Weisungen i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV ausgenommen. Denn bei der Gesamtabwägung sind auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften vorgegeben sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen.
Rz. 80
Für die Frage einer weisungsabhängigen Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV kommt es nur auf die rechtliche Möglichkeit im (gedachten) Konfliktfall an. Das Innehaben der diesbezüglichen Rechtsmacht entspricht insbesondere der jüngeren Rechtsprechung des BSG, in der die Maßgeblichkeit von Rechtsmacht gegenüber einem bloß rein faktischen, nicht rechtlich gebundenen und daher jederzeit änderbaren Verhalten der Beteiligten betont wird. Ein fachliches Weisungsrecht spricht bei der Statusfeststellung im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung für das Vorliegen von Beschäftigung und gegen eine selbstständige Tätigkeit. Wird ein Mitarbeiter erst durch eine Ausbildung, Prüfung und Lizenzierung vom Auftraggeber in die ...