Rz. 139
Vielfach beginnen Streitigkeiten über die Arbeitnehmereigenschaft damit, dass der vermeintliche oder echte Freie Mitarbeiter Feststellungsklage erhebt, dass zwischen den Parteien ab einem bestimmten Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis bestehe, welches nicht durch Kündigung oder Befristung beendet sei, und das beklagte Unternehmen (Hilfs-/Eventual-) Widerklage mit Rückforderungsansprüchen wegen Überzahlungen in der Vergangenheit für den Fall des Obsiegens des Klägers erhebt.
Rz. 140
Für Arbeitgeberansprüche wegen Überzahlung in der Vergangenheit hatte das BAG ursprünglich in seiner Entscheidung v. 9.7.1986 für den Fall, dass sich die Parteien in einem beiderseitigen Rechtsirrtum über den Freien-Mitarbeiter-Vertrag befunden haben, entschieden, dass grds. eine Rückabwicklung nicht in Betracht komme. Die Rückforderung überzahlter Vergütung durch den Arbeitgeber nach Bereicherungsrecht sei in diesem Fall nicht möglich. In dem Fall des BAG ging es um einen Anspruch eines Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer auf Zahlung der Differenz der zwischen der unter der Annahme eines Freien-Mitarbeiter-Verhältnisses gezahlten Vergütung und derjenigen Vergütung, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses zu zahlen gewesen wäre. Andererseits hatte das BAG angedeutet, dass im Einzelfall Veranlassung bestehen könnte, ausnahmsweise von dem Grundsatz der nur zukünftigen Vertragsänderung und -anpassung abzuweichen. Dies könne bspw. sein, wenn das Vertragsverhältnis noch bestehe und die Anpassung an veränderte Verhältnisse zwangsläufig auch in die Vergangenheit zurückwirkt.
Rz. 141
Inzwischen entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des 5.Senats des BAG, dass ein Arbeitgeber die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen kann, wenn der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlichen Solo-Selbstständigen rückwirkend festgestellt wird. Denn stellt sich ein vermeintlich freies Dienstverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis dar, kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung sei der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet. Mit der Feststellung stehe zugleich fest, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer mit der für Arbeitnehmer üblichen Bruttoarbeitsvergütung gem. § 612 BGB zu vergüten war und ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, wenn unterschiedliche Vergütungsordnungen für Freie Mitarbeiter und Arbeitnehmer bestanden, insb. die im Arbeitsverhältnis geschuldete Vergütung niedriger ist als das für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Honorar.
Rz. 142
Die Höhe des Rückforderungsanspruches umfasst nicht sämtliche geleisteten Honorarzahlungen, sondern (nur) die Summendifferenz zwischen sämtlichen Honorarteilen und sämtlichen Vergütungsansprüchen; i.Ü. ist der Arbeitnehmer nicht ohne Rechtsgrund bereichert. In die vorzunehmende Berechnung ist auch ein etwaiger tariflicher Abfindungsanspruch einzubeziehen. Ansprüche aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren nach § 195 BGB.
Praxishinweis
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Arbeitgeber (zuvor Auftraggeber) können etwaige in der Vergangenheit geleistete Honorar-Überzahlungen gemäß § 812 Abs. 1 BGB zurückfordern. |
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Der Bereicherungsanspruch ist nicht wegen eines etwaigen Vorrangs der Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ausgeschlossen. |
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Der Rückforderung kann ein Vertrauenstatbestand entgegenstehen. |
Rz. 143
Zu berücksichtigen ist, dass durch die Vereinbarung und Behandlung des Rechtsverhältnisses als freie Mitarbeit beim Dienstverpflichteten ein entsprechender Vertrauenstatbestand geschaffen wird. Erweist sich die Zusammenarbeit später als Arbeitsverhältnis, kann das Vertrauen des Arbeitnehmers schützenswert sein. Die Berufung auf die Arbeitnehmereigenschaft ist grds. nicht rechtsmissbräuchlich, es sei denn, dem Dienstverpflichteten sei ein Arbeitsvertrag angeboten worden, den dieser abgelehnt habe. Gleichwohl kann der Dienstverpflichtete dem Bereicherungsanspruch des Arbeitgebers nicht § 814 BGB entgegenhalten, da dieser positive Kenntnis davon gehabt haben müsste, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Das ist nur der Fall, wenn er aus den ihm bekannten Tatsachen auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung zieht, wobei allerdings eine entsprechende "Parallelwertung in der Laiensphäre" genügt. Beruht die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit, wie vielfach, schließt das den Rückforderungsanspruch nicht aus.
Rz. 144
Zu prüfen ist daher stets, ob dem Anspruch aus § 812 BGB der Grundsatz von Treu und Glauben aufgrund Vertrauensschutzes entgegenstehen könnte. Selbst dann, wenn die Voraussetzungen eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs gegeben sind, kann es dem Arbeitgeber nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf seine Überzahlung an den Freelancer zu berufen. Denn durch die Vereinbarung und die Behandlung des Rechtsverhältnisses...