Rz. 66
Auf den ersten Blick ist die Beurteilung eindeutig: Solo-Selbstständige und Tarifverträge passen nicht zueinander. Denn üblicherweise knüpfen die Rechtsnormen eines Tarifvertrages an Arbeitsverhältnisse, d.h. an den Arbeitgeberstatus einerseits und den Arbeitnehmerstatus andererseits an. Da Solo-Selbstständige Unternehmer sind, die gerade keinen Arbeitnehmer beschäftigen, drängt sich die Anwendung tarifvertraglicher Normen nicht auf. Das Thema wurde auch kaum diskutiert. Dies hat sich seit jüngster Zeit verändert:
Das LAG Berlin-Brandenburg ist zu dem Ergebnis gekommen, dass über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages(Bau) Solo-Selbstständige, die keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen, zur Zahlung eines Beitrags für die Berufsausbildung in Höhe von 900 EUR pro Jahr verpflichtet seien. Der Rechtsstreit ging zum einen um die Frage der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung(en) und zum anderen um die Einbeziehung der Solo-Selbstständigen. Das LAG sah die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von insgesamt vier Tarifverträgen des Baugewerbes auf der Grundlage von § 5 TVG n.F. als wirksam an. Von den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen wurden zum einen auch bislang nicht tarifgebundene Bauunternehmen erfasst, und – bzgl. der Pflicht zur Zahlung eines Beitrages für die Berufsausbildung – zum anderen auch Betriebe/Solo-Selbstständige, die keinen gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen. Das LAG ließ allerding die Rechtsbeschwerde zum BAG zu.
Anders urteilte in drei vergleichbaren Fällen die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg, und stellte sich damit sowohl gegen die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg als auch gegen die 9. Kammer des LAG Köln. Danach können Solo-Selbstständige, da sie keine Arbeitgeber sind, nicht auf der Grundlage eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages (Schornsteinfeger) zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung von Tarifvertragsparteien verpflichtet werden.
Der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts Siegburg (entgegen LAG Baden-Württemberg) und der ausführlichen Begründung ist zuzustimmen. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung der divergierenden Entscheidungen ist auch zu berücksichtigen, dass einerseits der Ausbildungspflichtbeitrag für viele Solo-Selbstständige, die kaum über die Runden kommen, recht hoch ist, und andererseits mehr als die Hälfte der Solo-Selbstständigen nach dem aktuellen Forschungsbericht des DIW/ECON keine Beiträge für ihre eigene Altersvorsorge aufbringen können.
Nunmehr hat das BAG die kontrovers diskutierte Rechtslage entschieden, und teilt im Ergebnis die vorgenannte – in der Vorauflage vertretende – Auffassung. Danach scheidet die Pflicht zur Zahlung eines Beitrages für die Berufsausbildung durch Solo-Selbstständige aus. Diese sind nicht als Arbeitgeber anzusehen und es besteht keine Regelungsbefugnis für Tarifvertragsparteien.
Rz. 67
Praxishinweis
1. |
Solo-Selbstständige sind keine Arbeitgeber. |
2. |
Tarifvertragsparteien sind nicht regelungsbefugt für Solo-Selbstständige, die nicht beabsichtigen, Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen zu beschäftigen. |