Rz. 66
Auf den ersten Blick ist die Beurteilung eindeutig: Solo-Selbstständige und Tarifverträge passen nicht zueinander. Denn üblicherweise knüpfen die Rechtsnormen eines Tarifvertrages an Arbeitsverhältnisse, d.h. an den Arbeitgeberstatus einerseits und den Arbeitnehmerstatus andererseits an. Da Solo-Selbstständige Unternehmer sind, die gerade keinen Arbeitnehmer beschäftigen, drängt sich die Anwendung tarifvertraglicher Normen nicht auf. Das Thema wurde auch kaum diskutiert. Dies hat sich seit jüngster Zeit verändert:[100]
Das LAG Berlin-Brandenburg ist zu dem Ergebnis gekommen, dass über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrages(Bau) Solo-Selbstständige, die keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen, zur Zahlung eines Beitrags für die Berufsausbildung in Höhe von 900 EUR pro Jahr verpflichtet seien.[101] Der Rechtsstreit ging zum einen um die Frage der Wirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung(en) und zum anderen um die Einbeziehung der Solo-Selbstständigen. Das LAG sah die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von insgesamt vier Tarifverträgen des Baugewerbes auf der Grundlage von § 5 TVG n.F. als wirksam an. Von den Allgemeinverbindlichkeitserklärungen wurden zum einen auch bislang nicht tarifgebundene Bauunternehmen erfasst, und – bzgl. der Pflicht zur Zahlung eines Beitrages für die Berufsausbildung – zum anderen auch Betriebe/Solo-Selbstständige, die keinen gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigen. Das LAG ließ allerding die Rechtsbeschwerde zum BAG zu.[102]
Anders urteilte in drei vergleichbaren Fällen die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg, und stellte sich damit sowohl gegen die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Siegburg[103] als auch gegen die 9. Kammer des LAG Köln.[104] Danach können Solo-Selbstständige, da sie keine Arbeitgeber sind, nicht auf der Grundlage eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages (Schornsteinfeger) zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung von Tarifvertragsparteien verpflichtet werden.[105]
Der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts Siegburg (entgegen LAG Baden-Württemberg) und der ausführlichen Begründung ist zuzustimmen. Im Rahmen der Gesamtbetrachtung der divergierenden Entscheidungen ist auch zu berücksichtigen, dass einerseits der Ausbildungspflichtbeitrag für viele Solo-Selbstständige, die kaum über die Runden kommen, recht hoch ist, und andererseits mehr als die Hälfte der Solo-Selbstständigen nach dem aktuellen Forschungsbericht des DIW/ECON keine Beiträge für ihre eigene Altersvorsorge aufbringen können.
Nunmehr hat das BAG die kontrovers diskutierte Rechtslage entschieden, und teilt im Ergebnis die vorgenannte – in der Vorauflage vertretende – Auffassung. Danach scheidet die Pflicht zur Zahlung eines Beitrages für die Berufsausbildung durch Solo-Selbstständige aus. Diese sind nicht als Arbeitgeber anzusehen und es besteht keine Regelungsbefugnis für Tarifvertragsparteien.[106]
Rz. 67
Praxishinweis
1. | Solo-Selbstständige sind keine Arbeitgeber. |
2. | Tarifvertragsparteien sind nicht regelungsbefugt für Solo-Selbstständige, die nicht beabsichtigen, Arbeitnehmer oder arbeitnehmerähnliche Personen zu beschäftigen. |
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