Rz. 68
Für alle Beteiligten ist die Abgrenzung in den verschiedenen Rechtsgebieten eine große Herausforderung. Dies gilt sowohl für die unmittelbaren Vertragsparteien einschließlich Betriebs-/Personalrat als auch für die beratenden Rechtsanwälte, Steuerberater, und auch für die Gerichte, wobei zu berücksichtigen ist, dass nach der Rechtsprechung des BSG keine Berechtigung eines Steuerberaters besteht, als Bevollmächtigter in einem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV aufzutreten.
Rz. 69
In Unternehmen sind vor allem die HR-Verantwortlichen von der Personal-/Rechtsabteilung bis zum Personalvorstand – und bei großen Unternehmen bis zum Aufsichtsrat – gefordert, mit geeigneten Präventivmaßnahmen ein funktionsfähiges System und tragfähige Einzelfalllösungen zu entwickeln. Compliance, d.h. ein rechtmäßiges Verhalten der Unternehmen, explizit seiner Organe und aller Mitarbeiter, ist ein wichtiger Teil der internen Personalarbeit und ein zentrales Thema mit großer Haftungsrelevanz für alle Unternehmen. Die Risiken werden vielfach unterschätzt.
Rz. 70
Praxishinweis
Die sorgfältige Bewertung etwaiger strafrechtlicher und ggf. auch berufsrechtlicher Risiken, auch für Organe, wie Geschäftsführer und Vorstände, sollten im Vorfeld unter keinen Umständen vernachlässigt werden (s. unten § 4 Rdn 233 ff.).
Rz. 71
Bei der detaillierten Abgrenzung der Solo-Selbstständigkeit in allen tangierten Rechtsgebieten (Arbeits-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht) zeigt sich deutlich, dass es dem Gesetzgeber auch mit der Reform 2022 erneut nicht geglückt ist, eine einheitliche Definition für genau die gleiche Tätigkeit im Arbeits-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht zu finden:
Rz. 72
Praxishinweis (Prüfungs-Checkliste)
Echte Solo- Selbstständigkeit hat drei zentrale Voraussetzungen:
1. Arbeitsrechtliche Abgrenzung
Rz. 73
Die arbeitsrechtliche Abgrenzung des Solo-Selbstständigen, ob es sich um echte Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit handelt, erfolgt ab 1.4.2017 über den Arbeitnehmerbegriff in § 611a BGB n.F. (s. dazu im Einzelnen oben ausführlich § 2 Rdn 1 ff.):
§ 611a BGB Arbeitsvertrag (ab 1.4.2017)
(1) Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände vorzunehmen. Zeigt die tatsächliche Durchführung des Vertragsverhältnisses, dass es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, kommt es auf die Bezeichnung im Vertrag nicht an.
(2) Der Arbeitgeber ist zur Zahlung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.
Rz. 74
Praxishinweis
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Das BAG billigt in seiner jüngsten Rechtsprechung den Tatsacheninstanzen bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus einen weiten Beurteilungsspielraum zu. |
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Das BAG hält es rechtlich nicht von vornherein für ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber ein freies Dienstverhältnis begründet, dass neben dem Arbeitsverhältnis besteht. |
2. Sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung
a) Gesetz
Rz. 75
Die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung des Solo-Selbstständigen, ob es sich um echte Selbstständigkeit oder Scheinselbstständigkeit handelt, erfolgt nicht über § 611a BGB, sondern über den Beschäftigtenbegriff in § 7 Abs. 1 SGB IV:
Beschäftigung ist danach die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Dabei soll es sich, wie ausdrücklich im Gesetzeswortlaut wiedergegeben, um Anhaltspunkte, also nicht um eine abschließende Bewertung handeln.
Rz. 76
Praxishinweis
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Diese recht unscharfe Gesetzeslage führt dazu, d... |