Rz. 273
Arbeitnehmerüberlassung ist eine etablierte Form des flexiblen Personaleinsatzes. Sie bietet Unternehmen Möglichkeiten zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen. Ebenso kommt ihr eine arbeitsmarktpolitische Bedeutung zu. Gleichwohl ist Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen wirtschaftlicher Tätigkeit grundsätzlich verboten, es sei denn, der Verleiher verfügt über eine entsprechende Erlaubnis (präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) und kennzeichnet die Arbeitnehmerüberlassung als solche.
Rz. 274
Die Arbeitnehmerüberlassung wird innerhalb eines Dreipersonenverhältnisses abgewickelt, an dem Verleiher, Entleiher und der verleihende Arbeitnehmer beteiligt sind. Zwischen Verleiher und Entleiher wird der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen, mit dem sich der Verleiher verpflichtet, dem Entleiher vorübergehend einen geeigneten Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung zu verschaffen (Gattungsschuld). Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist der Verleiher, so bleibt es auch während der Überlassungszeit. Arbeitnehmerüberlassung kommt daher schon begrifflich nur in Betracht, wenn Arbeitnehmer überlassen werden. Leiharbeitnehmer kann jeder sein, der auch Arbeitnehmer sein kann.
Rz. 275
Solo-Selbstständige sind begrifflich Selbstständige und grundsätzlich gerade keine Arbeitnehmer. Dies gilt aber dann nicht, wenn es sich um Scheinselbstständigkeit handelt. Danach sind Arbeitnehmer im Sinne des Arbeits-, Sozialversicherungs- und Steuerrechts auch Personen, die formal wie Selbstständige auftreten, tatsächlich aber abhängig Beschäftigte sind (Scheinselbstständige, s. im Einzelnen oben § 4 Rdn 1 ff., Rdn 18, Rdn 19 ff., Rdn 25 ff.).
Rz. 276
Insofern kommt der Thematik der Rechtssicherheit in Dreiecksverhältnissen erhebliche Bedeutung zu, auch unter dem Aspekt – sofern ein Beschäftigungsverhältnis besteht -, mit wem das Beschäftigungsverhältnis besteht. Ist der Auftragnehmer in die Arbeitsorganisation des Dritten eingegliedert und unterliegt seinen Weisungen, kann eine Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 AÜG vorliegen. Für den Fall, dass der Verleiher nicht die nach § 1 AÜG erforderliche Erlaubnis hat, würde schon aus diesem Grund ein Beschäftigungsverhältnis zwischen ihm und dem Leiharbeitnehmer nicht bestehen. Denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG sind Verträge zwischen Verleihern und Leiharbeitnehmern in diesem Fall unwirksam, sofern der Leiharbeitnehmer keine wirksame Festhaltenserklärung abgibt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 AÜG). Rechtsfolge bei Unwirksamkeit ist nach § 10 Abs. 1 AÜG, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher (Dritten) und dem Leiharbeitnehmer fingiert wird.
Rz. 277
Nach der bis zum 31.3.2022 gültigen Rechtslage konnten solche Dreiecksverhältnisse nicht abschließend geklärt werden, sondern immer nur jeweils ein Zweipersonenverhältnis; gegebenenfalls mussten zwei Statusfeststellungverfahren durchgeführt werden.
Rz. 278
Diese Rechtslage berücksichtigte nicht, dass der Dritte wegen des Verbots der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, der daraus resultierenden möglichen Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer und einer möglichen Haftung für den Sozialversicherungsbeitrag ebenfalls ein erhebliches Interesse an der Klärung haben kann. Daher soll nach der gesetzlichen Neuregelung des § 7a Abs. 2 S. 2–4 SGB IV n.F. die Deutsche Rentenversicherung Bund ab 1.4.2022 die Kompetenz haben, eine Tätigkeit umfassend und nicht nur begrenzt auf jeweils ein Rechtsverhältnis zu beurteilen.
Rz. 279
Damit entspricht der Gesetzgeber erfreulicherweise dem Vorschlag des Verfassers aus der 2. Aufl. 2019 dieses Werks, der wie folgt lautete:
Praxishinweis (zur alten Rechtslage in der 2. Aufl. 2019)
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Für Dreipersonenverhältnisse (bzw. Dreiecksverhältnisse) gibt es bisher kein Statusverfahren, mit dem im Vorfeld zumindest für das Sozialversicherungsrecht eine Klärung herbeigeführt werden könnte. |
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Das Verfahren nach § 7a SGB IV ist dafür nicht vorgesehen. |
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Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber ein Statusverfahren für 3 Personenverhältnisse bzw. Dreiecksverhältnisse einrichten würde, um insbesondere schwierige Fälle etwaiger Arbeitnehmerüberlassung im Vorfeld zu klären. Gleichzeitig wären aufgrund der Komplexität der Rechtslage umfassende Schulungsmaßnahmen für die Verantwortlichen solcher neuer Statusverfahren sinnvoll. |
Rz. 280
Nach der Reform 2022 sieht die neue Rechtslage für Dreipersonenverhältnis ab 1.4.2022 nunmehr folgendermaßen aus:
Stellt die Deutsche Rentenversicherung Bund ein Beschäftigungsverhältnis fest, ermächtigt § 7a Abs. 2 S. 2 SGB IV n.F. deshalb (auch) zu der ergänzenden Feststellung, ob dieses zu dem Dritten besteht. Voraussetzung ist, dass aufgrund des ermittelten Sachverhalts Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Auftragnehmer in die Arbeitsorganisation des Dritten eingegliedert ist und seinen Weisungen unterliegt, sodass in Betracht kommt, dass er sozialversicherungsrechtlich nach § 28e Abs. 1 und 2 SGB IV zur Zahl...