A. Definition/Begriff des Solo-Selbstständigen im Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht
Rz. 1
Der Begriff des Solo-Selbstständigen ist in keinem Gesetz definiert. Dies gilt gleichermaßen für das Arbeitsrecht wie für das Steuer- und Sozialversicherungsrecht und das ebenfalls zu beachtende Strafrecht. Einigkeit besteht, dass von Solo-Selbstständigkeit gesprochen wird, wenn einzelne Personen (Unternehmer), die keine eigenen Mitarbeiter beschäftigen, ihre Werk- und Dienstleistung selbstständig, d.h. weisungsunabhängig und nicht in persönlicher Abhängigkeit, erbringen. Kennzeichnend sind die zwei Merkmale allein und selbstständig.
Rz. 2
Die Abgrenzung der Solo-Selbstständigen erfolgt im Arbeitsrecht zum Arbeitnehmer und ist im Einzelfall schwierig, zumal zahlreiche Tätigkeiten sowohl im Rahmen von Arbeitsverhältnissen als auch im Rahmen von anderen Vertragsverhältnissen erbracht werden können. Auch Mischformen sind möglich. Je nach Lage des einzelnen Falles kann nach sorgfältiger Prüfung des Sachverhaltes und genauer rechtlicher Würdigung im Ergebnis sowohl echte Selbstständigkeit als auch Arbeitnehmerschaft vorliegen. Die Grenze zur Scheinselbstständigkeit ist fließend. Dabei geht es vielfach nicht darum, ob überhaupt eine persönliche Abhängigkeit (deutlicher: rechtliche Abhängigkeit), Weisungsrechte und eine Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zu bejahen sind, sondern um das Ausmaß bzw. den Grad der Abhängigkeit. Dabei kann der Grad der persönlichen Abhängigkeit sich abhängig vom ausgeübten Beruf und Berufsbild unterschiedlich stark ausprägen. Denn der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab (§ 611a Abs. 1 S. 4 BGB). Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend. Welches Rechtsverhältnis vorliegt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
Rz. 3
Die Hoffnungen der Praxis, dass mit der Reform 2022 der Gesetzgeber – in dieser für alle Beteiligten komplexen Thematik – für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Arbeit-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht sorgen würde, die seitens des Verfassers wiederholt und mit vielen weiteren Stimmen aus der Rechtsprechung und Literatur seit langem gefordert wird, haben sich nach der halbherzigen Reform zum 1.4.2022 erneut nicht erfüllt.
Rz. 4
Die Reform zum 1.4.2022 mit der Neufassung des sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens in § 7a SGB IV kann die Gesamt-Problematik nicht lösen, sondern nur ein Schritt in die Richtung einer Lösung sein. Allerdings sind erhebliche Auswirkungen in der Praxis zu erwarten.
Rz. 5
Im Sinne einer Lösung der Thematik ist positiv anzusprechen, dass der Gesetzgeber mit der Reform 2022 nicht nur die Thematik der Zweipersonenverhältnisse, sondern auch die Thematik der Dreiecksverhältnisse aufgegriffen hat. Damit hat der Gesetzgeber einen konkreten Vorschlag des Verfassers aus der Vorauflage aufgegriffen und umgesetzt.
Rz. 6
Ferner erfolgte aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – und insofern erwartungsgemäß – mit der Reform 2022 die Einführung des neuen Statusfeststellungsverfahrens ab 1.4.2022. Dies ermöglicht die isolierte Feststellung des Erwerbsstatus durch die Deutsche Rentenversicherung Bund anstelle der Feststellung der Versicherungspflicht. Während zu begrüßen ist, dass – nunmehr ebenfalls neu – der dazu erforderliche Statusfeststellungsantrag bereits vor Aufnahme der Tätigkeit gestellt werden kann, erscheint zweifelhaft, ob die isolierte Feststellung des Erwerbsstatus an sich für die Beteiligten zielführend ist. Die Reform soll ferner eine gewisse Entbürokratisierung enthalten, wozu erst die Zukunft zeigen muss, ob dies realistisch ist. Die Reform beseitigt aber jedenfalls nicht die immensen Risiken des Einsatzes von Fremdpersonal im Arbeits-, Sozialversicherungs- und Steuerrecht insgesamt.
Rz. 7
Praxishinweis
Alle Beteiligten müssen sich auch nach der Reform zum 1.4.2022 im Klaren sein:
Für Unternehmen und Solo-Selbstständige bestehen weiterhin nicht unerhebliche Risiken.
Diese zu beseitigen, – und nicht nur zu reduzieren – wäre Aufgabe der Reform gewesen.
Rz. 8
Bereits der zuvor mit der Reform 2017 zum 1.4.2017 neu in das Gesetz eingefügte § 611a BGB vermochte die Abgrenzungsthematik nicht einmal im Arbeitsrecht voranzubringen oder gar zu lösen. Das bloße "Abschreiben" der Rechtsprechung des BAG im neuen § 611a BGB ist dazu völlig unzureichend (s. im Einzelnen oben § 2). Es löst nicht einmal die arbeitsrechtliche Thematik. Neben der daher – auch in Zukunft – unverändert fortbestehenden ungelösten arbeitsrechtlichen Abgrenzungsproblematik zwischen echter Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit bei den Solo-Selbstständigen ist an § 611a BGB besonders zu kritisieren, dass dieses nur für das Arbeitsrecht gilt. Während im 1. – bereits missglückten – Referentenentwurf vom 16.11.2015 das BMAS mit einem wenn auch halbherzigen Schritt in § 611a Abs. 3 BGB der Entwurfsfassung versucht hatte, zumindest...