1. Kinderbetreuung in der Trennungsphase
Rz. 50
Beim Trennungsunterhalt ist die Erwerbsobliegenheit der Ehefrau anders zu beurteilen als beim (nachehelichen) Betreuungsunterhalt:
BGH, Urt. v. 18.4.2012 – XII ZR 73/10 Tz. 18
Der nicht erwerbstätige Ehegatte kann nach § 1361 Abs. 2 BGB nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe, und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann. Insofern kann insbesondere die Betreuung minderjähriger Kinder einer Erwerbsobliegenheit entgegenstehen. Anders als in § 1570 BGB für den nachehelichen Unterhalt werden die Voraussetzungen, unter denen Trennungsunterhalt wegen Betreuung eines Kindes verlangt werden kann, in § 1361 BGB nicht konkretisiert. Für den Trennungsunterhalt gelten zunächst großzügigere Anforderungen hinsichtlich einer Erwerbsobliegenheit als sie in § 1574 BGB für den nachehelichen Unterhalt bestimmt sind. Denn die bestehenden Verhältnisse sollen geschützt werden, damit die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht erschwert wird. Mit zunehmender Verfestigung der Trennung wird allerdings eine allmähliche Annäherung der unterschiedlichen Maßstäbe der Erwerbsobliegenheit bewirkt; wenn die Scheidung nur noch eine Frage der Zeit ist, besteht für eine erheblich großzügigere Beurteilung in der Regel kein Grund mehr.
2. Fallvariante
Rz. 51
In der Lösung wurde davon ausgegangen, dass ein Unterhaltsanspruch wegen Kinderbetreuung besteht, z.B. weil sich die Kindeseltern einig sind, dass die Kindsmutter keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, um sich beispielsweise mit uneingeschränkter Kraft der Kinderbetreuung widmen zu können. Diese Konstellation ist in der Praxis bei beengten finanziellen Verhältnissen eher selten anzutreffen. Die Folge ist, dass es einer kinderbetreuenden Mutter, deren Kind vormittags die Schule (oder einen Kindergarten) besucht, obliegt, zumindest eine Teilzeittätigkeit auszuüben – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Ehegattenunterhalt. Könnte im Fallbeispiel F aus einer Teilzeitbeschäftigung monatlich 800 EUR netto erzielen, so würde ihr Unterhaltsanspruch bereits auf 817 EUR absinken.
Rz. 52
Bereinigtes Nettoeinkommen des M nach Vorabzug Kindesunterhalt: 2.585,50 EUR (3.000 – 414,50 EUR)
Erwerbstätigenbonus des M 2.585,50 × 10 % = 258,50 EUR
Bedarfsbestimmendes Einkommen des M: 2.585,50 – 258,50 EUR = 2.327 EUR
Bereinigtes Nettoeinkommen der F: 800 EUR
Erwerbstätigenbonus der F 800 × 10 % = 80 EUR
Bedarfsbestimmendes Einkommen der F 720 EUR (800 – 80 EUR)
Bedarf der F (Halbteilung) = ½ aus 3.047 (2.327 + 720 EUR) = 1.523,50 EUR
Bedürftigkeit der F: 803,50 EUR (1.523,50 – 720 EUR)
3. Begründung zum Gesetzesentwurf
Rz. 53
Da das Unterhaltsrecht trotz seiner Vielgestaltigkeit in relativ wenigen Normen geregelt ist, erfährt es seine Ausgestaltung in besonderem Maße durch die Rechtsprechung. Die damit einhergehende Gefahr, dass sich die Rechtsprechung durch Verweis auf vorangegangene Entscheidungen von der Absicht des Gesetzgebers wegentwickelt, rechtfertigt, die Begründung zum Gesetzesentwurf in Erinnerung zu bringen.
Aufgrund des verstärkten Grundsatzes der Eigenverantwortung formuliert die Begründung zum Gesetzentwurf unter B, zu Artikel 1, zu Nummer 3, zu Satz 2:
Zitat
"Bei der Auslegung von § 1570 BGB, des Anspruchs auf Betreuungsunterhalt, wird dies etwa dazu führen, dass das bisherige, von der Rechtsprechung entwickelte "Altersphasenmodell", ab welchem Alter des Kindes dem betreuenden Elternteil eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist (vgl. Palandt/Brudermüller, BGB [65. Aufl. 2006], § 1570 Rn 9 ff.), neu zu überdenken und zu korrigieren ist. Künftig wird verstärkt darauf abgestellt werden müssen, inwieweit aufgrund des konkreten Einzelfalles und der Betreuungssituation vor Ort von dem betreuenden Elternteil eine (Teil-) Erwerbstätigkeit neben der Kinderbetreuung erwartet werden kann. Dies wird durch die Änderung von § 1570 BGB unterstrichen."
Begründung zum Gesetzentwurf B, zu Artikel 1, zu Nummer 4:
Zitat
"Die Möglichkeiten der Fremdbetreuung von Kindern haben – ungeachtet regionaler Unterschiede und einzelner, bestehender Angebotslücken – insgesamt stark zugenommen; die Ausübung insbesondere einer Teilzeittätigkeit neben der Kindererziehung ist heute vielfach Realität. Diese Entwicklung ist bei der Beurteilung der Frage, inwieweit dem geschiedenen Elternteil neben der Betreuung eines Kindes eine Erwerbstätigkeit zumutbar ist, angemessen zu berücksichtigen. Anstelle der bisherigen, häufig sehr schematisierenden Betrachtungsweise anhand des tradierten "Altersphasenmodells" ist stärker auf den konkreten Einzelfall und tatsächlich bestehende, verlässliche Möglichkeiten der Kinderbetreuung abzustellen. Bedeutung erlangt dies weniger bei Kleinkindern… Eine Berücksichtigung ist aber grundsätzlich bei den über dreijährigen Kindern geboten. Bei der konkreten Anwendung der Norm ist darauf Bedacht zu nehmen, dass nur...