Fall 19: M 3.000 EUR – F 0 EUR + K (7 J) – Übersicht zum Betreuungsunterhalt; Abgrenzung Betreuungsunterhalt/Aufstockungsunterhalt –
Rz. 1
F verlangt von ihrem Ehemann M – nach erfolgter Scheidung bzw. im Rahmen des Scheidungsverfahrens – nachehelichen Unterhalt und Kindesunterhalt für das gemeinsame siebenjährige Kind K, das von ihr betreut wird. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 3.000 EUR. F hat kein Einkommen. Wegen der (erforderlichen oder vereinbarten) Betreuung des Kindes ist sie nicht berufstätig.
I. Kindesunterhalt
Rz. 2
Ist neben Kindern auch ein Ehegatte unterhaltsberechtigt, so ist zunächst der Kindesunterhalt zu errechnen. In einem zweiten Schritt ist der Ehegattenunterhalt zu berechnen, wobei dann vorab der Kindesunterhalt (und zwar der Zahlbetrag, also i.d.R. der um das hälftige Kindergeld gekürzte Tabellenbetrag) vom Einkommen des Unterhaltspflichtigen abzuziehen ist.
Rz. 3
Der Bedarf von Kindern richtet sich nach der Düsseldorfer Tabelle (DT). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Fall 1 (siehe § 1 Rdn 1 ff.) verwiesen.
Rz. 4
M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 3.000 EUR. Es kommt deshalb grundsätzlich die Einkommensgruppe 4 (2.701 – 3.100 EUR) zur Anwendung. Es sind zwei Unterhaltsberechtigte vorhanden. Ab- oder Zuschläge sind deshalb nicht geboten, weil die DT von zwei Unterhaltberechtigten ausgeht.
Rz. 5
Kind K ist 7 Jahre alt, es fällt also in die Altersstufe 2. Sein Bedarf beträgt damit grundsätzlich 524 EUR. Das halbe Kindergeld (109,50 EUR) ist bedarfsdeckend anzurechnen. Der Unterhalt für K beträgt somit 414,50 EUR (524 – 109,50 EUR).
II. Ehegattenunterhalt
Rz. 6
Zunächst stellt sich die Frage, ob Unterhalt für die Zeit der Trennung, also für die Zeit bis zur Rechtskraft der Scheidung (Trennungsunterhalt), oder ob Unterhalt für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung (nachehelicher Unterhalt oder auch Geschiedenenunterhalt genannt) geltend gemacht wird.
1. Trennungsunterhalt
Rz. 7
Beim Trennungsunterhaltsanspruch sind die Anforderungen relativ gering:
§ 1361 Unterhalt bei Getrenntleben
(1) Leben die Ehegatten getrennt, so kann ein Ehegatte von dem anderen den nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen; (…)
Rz. 8
Die Frage der Kinderbetreuung spielt grds. keine Rolle.
Erst wenn sich aufgrund der Dauer der Trennungszeit die Frage der Erwerbsobliegenheit der Unterhaltsberechtigten stellt, erlangen auch hier die nachfolgenden Ausführungen zur Erwerbsobliegenheit bei Kinderbetreuung (§ 1570 Abs. 1 BGB) Bedeutung.
Hinweis
Bei Trennungsunterhalt und Geschiedenenunterhalt handelt es sich um verschiedene Unterhaltsansprüche. Deshalb darf beispielsweise aus einem Beschluss über Trennungsunterhalt grds. – Ausnahme bei einstweiliger Anordnung – kein Unterhalt für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung mehr geltend gemacht werden.
2. Nachehelicher Unterhalt
Rz. 9
Im Fallbeispiel wird nachehelicher Unterhalt (Geschiedenenunterhalt) geltend gemacht.
Rz. 10
Ausgangspunkt ist der Grundsatz der Eigenverantwortung (§ 1569).
Ein nachehelicher Unterhaltsanspruch besteht nur in den gesetzlich normierten Fällen, und zwar wegen des Grundsatzes der nachehelichen Solidarität.
Rz. 11
Die nacheheliche Solidarität stützt sich entweder auf ehebedingte Unterhaltsbedürftigkeit (z.B. Betreuungsunterhalt nach § 1570 Abs. 1 S. 1)
▪ |
wegen Kinderbetreuung oder |
▪ |
wegen Verzicht auf Fortkommen |
oder auf Unterhaltsbedürftigkeit mit zeitlichem Zusammenhang mit der Scheidung oder einem sonstigen Anknüpfungspunkt (z.B. Unterhalt wegen Alters nach § 1571 BGB oder Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen nach § 1572 BGB).
Rz. 12
Im Fallbeispiel soll sich (nur) die Frage stellen, ob Betreuungsunterhalt geschuldet wird.
Hinweis
Tatsächlich ist der Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ein einheitlicher Anspruch, der stets die Prüfung aller Tatbestände der § 1570 ff. erfordert bzw. beinhaltet.
III. Speziell: Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB
1. Kein Einsatzzeitpunkt
Rz. 13
Der Betreuungsunterhaltsanspruch ist nicht an einen Einsatzzeitpunkt (siehe § 3 Rdn 32) geknüpft. Also auch dann, wenn bspw. im Zeitpunkt der Scheidung die Voraussetzungen nicht vorliegen (z.B. das Kind ist altersbedingt nicht mehr betreuungsbedürftig), kann der Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt dennoch entstehen (z.B. das Kind wird durch Erkrankung wieder betreuungsbedürftig).
2. Abgrenzung zum Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2)
Rz. 14
Die Frage, ob eine Differenzierung zwischen verschiedenen Teilunterhaltsansprüchen überhaupt noch erforderlich ist, mag hier dahinstehen. Nach der Rechtsprechung des BGH ist diese Differenzierung noch geboten.
Danach gilt für das Verhältnis Betreuungsunterhalt/Aufstockungsunterhalt:
Entscheidend ist, ob die Unterhaltsberechtigte eine vollschichtige angemessene Erwerbstätigkeit ausübt oder aber ausüben kann.
BGH, Urt. v. 21.4.2010 – XII ZR 134/08
Für die Abgrenzung der Anspruchsgrundlagen wegen eines Erwerbshindernisses aus §§ 1570 bis 1572 BGB und aus § 1573 Abs. 2 BGB (Aufstockungsunterhalt) ist zu unterscheiden, ob wegen des vorliegenden Hindernisses eine Erwerbstätigkeit vollständig oder nur zum Teil ausgeschlossen ist (BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 Tz. 20 m.w.N.).
Es muss sich um eine angemessene Erwerbstätigkeit handeln.
§ 1574 Angemessene Erwerbstätigkeit
(1) Dem geschiedenen Ehegatten obliegt es...