Rz. 73
Von zentraler Bedeutung bei Vor- und Nacherbschaft ist der Erbschein. Allein der Vorerbe ist nach dem Erbfall antragsberechtigt, nicht der Nacherbe. Nur der Nacherbe hat das Recht, Herausgabe eines unrichtigen Erbscheins an das Nachlassgericht zu verlangen (§ 352b Abs. 1 FamFG i.V.m. § 2362 BGB). Dies ergibt sich aus § 352b Abs. 1 FamFG. Der Vorerbe hat darauf zu achten, dass bei Befreiungen nicht nur die "globalen" Befreiungen nach § 2137 BGB aufgenommen werden, die in § 352b Abs. 1 FamFG ausdrücklich zitiert sind, sondern auch einzelne Befreiungen. Weiter sind die (Voraus-)Vermächtnisse an den Vorerben in den Erbschein aufzunehmen.
Praxishinweis
Dies ist sonst bei Vermächtnissen nicht der Fall und geschieht mit der Formulierung: "Das Recht des Nacherben erstreckt sich nicht auf den Gegenstand …" – Deshalb wichtig, weil bei Grundstücken dann sicher kein Nacherbenvermerk im Grundbuch eingetragen wird!
Rz. 74
Da das Nachlassgericht nur den beantragten Erbschein erteilen – oder die Erteilung ablehnen – kann, ist es im Interesse des Vorerben, die notwendigen Bestandteile auch zu beantragen. Das Nachlassgericht wiederum ist gehalten, entsprechende Hinweise zu erteilen. Zu den Voraussetzungen des Eintritts des Nacherbfalls, die im Erbschein eingetragen werden müssen, gehört auch der Zeitpunkt, eine zweite Nacherben- bzw. Kettennacherbenfolge sowie Befristungen und Bedingungen nach §§ 2074, 2075 BGB.
Rz. 75
Dies gilt insbesondere für Wiederverheiratungsklauseln. Hier muss nicht nur die auflösend bedingte Vollerbschaft und die aufschiebend bedingte Vorerbschaft im Erbschein festgehalten werden, sondern auch geklärt werden, ob die Wirkungen der Vorerbschaft auf den Todesfall des ersten Ehegatten zurückwirken oder nicht, wie das aktuelle Beispiel des OLG Celle zeigt: "(Die Erblasserin) ist von (dem Beteiligten) als alleinigem Vollerben beerbt worden. Diese Erbfolge endet, wenn er heiratet, mit dem Tage der Eheschließung. Mit diesem wird er Vorerbe. Seine gesetzlichen Beschränkungen als Vorerbe treten erst mit diesem Tage ein und wirken nicht zurück auf den Zeitpunkt des Erbfalls. Zugleich werden Nacherben er selbst und seine drei Töchter J. F., I. O.-L. und Y. K. Ersatznacherben der Töchter, soweit diese den Nacherbfall nicht erleben, sind jeweils deren in dem gemeinschaftlichen Testament genannte Kinder." Ist der im Testament eingesetzte Nacherbe bereits vor dem Erbfall weggefallen oder hat er vor Erteilung des Erbscheins ausgeschlagen und ist oder wird der Vorerbe dadurch Vollerbe, kann er einen Alleinerbschein beantragen. Dies hat auch zur Folge, dass Grundbücher von vornherein frei von Nacherbenvermerken bleiben.
Rz. 76
Darüber hinaus muss im Erbschein auch festgehalten werden, ob durch die Einsetzung von Vor- und Nacherbe die Vererblichkeit als Ausnahme von § 2108 Abs. 2 BGB ausgeschlossen wurde. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn bereits bei Erstellung des Testaments für den Nacherben feststeht, dass für den Fall seines Versterbens zwischen Erbfall und Nacherbfall der Vorerbe Vollerbe werden soll.
Rz. 77
Das Verfahren richtet sich nach dem FamFG. Das Erbscheinsverfahren gehört in den Katalog der "Nachlasssachen" (§ 342 Abs. 1 Nr. 6 FamFG). Antragsteller ist weiterhin nur der Vorerbe (§ 345 Abs. 1 FamFG). Der Nacherbe ist Kann-Beteiligter nach § 345 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 FamFG, der auf seinen Antrag hin vom Gericht hinzugezogen werden muss (§ 345 Abs. 1 S. 2 FamFG). Der frühere Vorbescheid wurde abgeschafft und durch den Beschluss über die Feststellung der zur Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen ersetzt (§ 352 FamFG). Gegen den Beschluss steht dem Vorerben (bei Ablehnung) und den anderen Beteiligten, also auch dem Nacherben (bei – unvollständiger – Erteilung), das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 58 FamFG zu.