I. Vorerbe als "wahrer Erbe"
1. Allgemeines
Rz. 29
Der Vorerbe ist Erbe. Auf ihn gehen das gesamte Vermögen (§ 1922 BGB), der Besitz (§ 857 BGB) und die Verbindlichkeiten (§ 1967 BGB) über. Diese Rechtsstellung fällt jedoch mit Fristablauf oder Eintritt der Bedingung weg. Der Nachlass bildet daher ein Sondervermögen, das im Interesse der Nachlassgläubiger und des Nacherben eigenen rechtlichen Regelungen folgt. Aufgrund der Tatsache, dass in vielen Fällen erst mit dem Ereignis, das den Nacherbfall auslöst, die Position des Vorerben als solche feststeht, muss die Rechtsposition des Vorerben als Eigentümer des Nachlasses näher ausgestaltet werden. In den §§ 2112–2145 BGB ist dieses Rechtsverhältnis für die Zeit der Vorerbschaft und die Zeit nach dem Nacherbfall geregelt. Grundsätzlich ist zwischen dem befreiten Vorerben (§ 2136 i.V.m. § 2137 BGB) und dem Vorerben zu unterscheiden, der zusätzlich zu den unabdingbar vorhandenen Beschränkungen und Verpflichtungen (§§ 2113 Abs. 2, 2121, 2124 Abs. 1 BGB) diejenigen in § 2136 BGB beschriebenen zu tragen hat.
2. Verfügungsbefugnis
Rz. 30
Wegen § 2113 Abs. 1 BGB ("ist im Falle des Eintritts der Nacherbfolge insoweit unwirksam") ergibt sich bereits aus dem Gesetz, dass dingliche Rechtsänderungen, die der Vorerbe bzgl. des Nachlasses vornimmt, zunächst wirksam sind. Erst im Nacherbfall selbst entscheidet sich, ob die Verfügung unwirksam wird und der Nacherbe sich auf diese Unwirksamkeit berufen kann. Die Unwirksamkeit wirkt automatisch für und gegen jedermann. Dies führt jedoch nicht zur Annahme der Nichtigkeit. Es ist daher nachträgliche Genehmigung durch den Nacherben möglich. "Verfügung" ist hierbei technisch zu verstehen. Schuldrechtliche Verträge werden hiervon nicht erfasst. Diese sind immer möglich, führen jedoch eventuell zur Haftung des Vorerben nach §§ 2130, 2131 BGB bzw. zur Schadensersatzpflicht gegenüber dem Vertragspartner, wenn sich der Vorerbe zu einer Verfügung verpflichtet, die dem Verdikt der Unwirksamkeit ausgesetzt ist.
3. Verfügungsbeschränkungen mit Befreiungsmöglichkeit
a) Verfügungen über ein Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück
Rz. 31
Nach § 2113 Abs. 1 BGB ist die Verfügung des Vorerben über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück oder Recht an einem Grundstück bei Eintritt der Nacherbfolge insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Hierunter fallen alle dinglich wirkenden Übertragungen, Belastungen, Inhaltsänderungen und die Aufgabe eines Grundstücksrechts. Dazu gehören auch die Bewilligung einer Vormerkung, die Erbbaurechtsbestellung sowie der Rangrücktritt von Grundpfandrechten. Wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen keine Rolle.
Möglich ist auch die Veräußerung durch den nicht befreiten Vorerben mit Genehmigung des Nacherben, so dass die Verfügung nicht mehr "insoweit unwirksam" ist und der Nacherbenvermerk im Grundbuch gelöscht werden muss.
Rz. 32
Eine wichtige Ausnahme gilt, wenn ein Grundstück im Eigentum einer Gesamthand steht. Ist das Erbe, über das Vor- und Nacherbschaft angeordnet wurde, z.B. in einer Miterbengemeinschaft gebunden, so kann der Vorerbe die Auseinandersetzung gem. § 2042 BGB betreiben. Die Ausübung dieses Rechts bedarf keiner Zustimmung durch den Nacherben. Bei Verfügungen über Nachlassgegenstände, die im Wege der Auseinandersetzungen auf Miterben oder Dritte übertragen oder veräußert werden, muss nach h.M. die Beschränkung des § 2113 BGB nicht berücksichtigt werden, auch nicht analog. Grund hierfür ist, dass Nachlassbestandteil nicht das Recht am Grundstück, sondern der Gesamthandsanteil an der Miterbengemeinschaft ist. Die übrigen Gesamthänder müssen sich die Zustimmungspflicht durch einen nicht an der Gesamthand beteiligten Dritten nicht entgegenhalten lassen. Das bedeutet weiter, dass bei derartigen Grundstücken ein Nacherbenvermerk nicht eingetragen wird. Geschieht dies doch, ist das Grundbuch unrichtig. Der Erlös aus der Auseinandersetzung ist Surrogat gem. § 2111 BGB.
b) Kündigung und Einziehung von Grundpfandrechten
Rz. 33
§ 2114 BGB normiert als Ausnahmevorschrift zu § 2113 BGB die Kündigung und Einziehung des Kapitals bei Grundpfandrechten. Zu diesen Verfügungen über ein Grundstücksrecht ist eine Zustimmung des Nacherben nicht erforderlich. Das Einziehungsrecht ist jedoch zum Schutz des Nacherben eingeschränkt. Es kann vom Vorerben nur so ausgeübt werden, dass das eingezogene Kapital für den Vor- und Nacherben zur gemeinsamen Verfügung hinterlegt wird. Auszahlung an den Vorerben selbst kann nur nach Beibringen der Einwilligung des Nacherben vorgenommen werden.
c) Verfügung über Geldvermögen
Rz. 34
Bei Geldvermögen, das vom Vorerben verwaltet wird, ist zunächst zu unterscheiden zwischen Geld, das für die laufende Verwaltung benötigt wi...