1. Anordnung durch den Erblasser
Rz. 4
Vor- und Nacherbe müssen grundsätzlich vom Erblasser bestimmt werden. Ein Auswahlermessen Dritter, also auch des Vorerben, existiert nicht. Dies ergibt sich aus § 2065 Abs. 2 BGB. Das BayObLG hatte mit Beschl. v. 18.3.2004 nochmals klargestellt:
Zitat
"Der Erblasser darf die Bestimmung der Person des Nacherben nicht den Vorerben überlassen (§ 2065 Abs. 2 BGB). Nur die Bezeichnung, nicht die Bestimmung der Person darf einem Dritten übertragen werden. Dann müssen aber die Hinweise im Testament so genau sein, dass den Bedachten eine jede mit genügender Sachkunde ausgestattete Person bezeichnen kann, ohne dass deren Ermessen auch nur mitbestimmend ist. Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zutreffend ausgegangen. Es hat darauf abgestellt, dass der Vorerbe als bestimmender Dritter angesichts der Unschärfe des Auswahlkriteriums "Geeignetheit für die Erhaltung und Bewirtschaftung des Grundbesitzes" den Nacherben nicht nur bezeichnen, sondern ihn vielmehr tatsächlich wählen könne. Das hierdurch eröffnete Auswahlermessen führt wegen Verstoßes gegen § 2065 Abs. 2 BGB zur Unwirksamkeit der Bestimmungsklausel mit der Folge, dass es bei der im Erbschein zutreffend angegebenen Nacherbenstellung der Beteiligten verbleibt."
Rz. 5
Diese Entscheidung steht in der Linie der Entscheidung des OLG Frankfurt. Der Abschied auch von der sog. Dieterle-Klausel, nach der die (gewillkürten) Erben des Vorerben die Nacherben des Erblassers sein sollen, ist dogmatisch sauber und zu begrüßen. Der Erblasser muss den Bestand des Testaments, den Gegenstand der Zuwendung und den Zuwendungsempfänger selbst bestimmen.
Allerdings tendieren die Stimmen in jüngster Zeit wieder vermehrt dazu, die Zulässigkeit der "Dieterle-Klausel" zu bejahen. So hat das Kammergericht als wesentlichen Gesichtspunkt die Intention des Erblassers herangezogen, dass bei der Vermögensnachfolge in sein Vermögen und der Vermögensnachfolge in das Vermögen des Vorerben ein Gleichlauf bestehen soll. Deshalb sei hier, trotz der Tatsache, dass die Klausel einer Bestimmung im § 2065 Abs. 2 BGB nahekomme, die Erbenbestimmung als vom Erblasser stammend zu bewerten.
Praxishinweis
Es ist in der Gestaltungspraxis jedoch abzuraten, Klauseln zu verwenden, die ein Bestimmungsrecht des Vorerben in diesen Punkten beinhalten, da neben der Unwirksamkeit der Nacherbeneinsetzung evtl. sogar die Anwendung des § 2104 BGB droht (vgl. aber Rdn 17). Auch in jüngeren Veröffentlichungen wird darauf hingewiesen, dass die "Dieterle-Klausel" "grenzwertig" sei.
Rz. 6
Davon abzugrenzen ist die Möglichkeit, die gesamte "Konstruktion" Vor- und Nacherbschaft selbst von einer Bedingung abhängig zu machen. Ist als Bedingung festgelegt, dass der Vorerbe nicht anderweitig testiert, stellt diese abweichende Testierung eine (erlaubte) Potestativbedingung dar. Die auflösend bedingte Vorerbschaft erlischt, der Vorerbe wird automatisch Vollerbe und kann damit auch Änderungen im Erbschein bzw. in den Grundbüchern vornehmen lassen (siehe Rdn 23).
2. Gesetzliche Auslegungs- und Ergänzungsregeln
a) Allgemeines
Rz. 7
Die Fälle, in denen handschriftliche Testamente unvollständig oder undeutlich formuliert werden, sind zahlreich. Hinzu kommen gemeinschaftliche Testamente mit verwirrendem Inhalt. Krone der auslegungsbedürftigen Testamente sind Mehrfach-Testamente mit unterschiedlichem oder unterschiedlich detailreichem Inhalt. Für sie alle gilt zunächst, dass der Wille des Erblassers ermittelt werden muss. Grundregeln wie §§ 2084, 2085 BGB sollen die Wirksamkeit des Testaments bzw. einzelner Verfügungen retten. Bleibt der Wille des Erblassers offen – aber auch nur dann –, greifen die gesetzlichen Auslegungs- und Ergänzungsregeln ein. Kann der Wille des Erblassers ermittelt werden, ist für deren Anwendung kein Raum. Im Zusammenhang mit notariellen Testamenten hat das OLG Hamm darauf verwiesen, dass konkrete Anhaltspunkte bestehen müssen, um die Wortlautauslegung zugunsten eines anderen Erblasserwillens zu überwinden.
Praxishinweis
Dass gerade bei gemeinschaftlichen Testamenten notarielle Testamente oftmals kritisch hinterfragt werden müssen, zeigt der hier angesprochene Fall des OLG Hamm. Die Entscheidung ist u.a. wegen der Ausführungen zur Auslegung ...